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Ein Engel an Güte (German Edition)

Ein Engel an Güte (German Edition)

Titel: Ein Engel an Güte (German Edition)
Autoren: Ippolito Nievo
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ihr im Bunde, dass er so eifrig bemüht ist, den Kontrast zwischen ihrer Tugend und den lockeren Sitten ihrer Umgebung gebührend ins Licht zu setzen. Denn allzu viel Moralismus verträgt kein Roman. Aber ganz so streng, wie er sich gern gibt, ist dieser Erzähler gar nicht. Dafür ist er selber viel zu sehr in Venedig verliebt, auch wenn er gerne Strafpredigten gegen die Lust am Luxus hält. Man lese nur, wie er das Schauspiel des Sonnenuntergangs beschreibt, das weiße Dämmerlicht, das sich seinen Weg durch die Häuserfluchten sucht, die Gondeln, in denen, während sie die Lichtschneisen durchqueren, reizende Damen sichtbar werden, die Rufe der Ruderer, den Gesang der Zecher. Es bekommt dem Roman gut, dass das ästhetische Urteil mit dem moralischen und historisch-politischen nicht immer konform geht. Vor allem aber bekommt es ihm gut, dass er sich nur zum Schein in das Gewand des historischen Romans hüllt. Kaum einmal rivalisiert der Erzähler mit dem epischen Ton der Geschichtsschreiber, kaum einmal geht er in der Schilderung der Schauplätze über flüchtige Umrisse hinaus, stets bleiben seine historischen Exkurse – etwa über das Recht der Landbevölkerung auf das Holzschlagen oder die Lage des Kleinadels der Terraferma – knappe Skizzen.
    Dergleichen gravitätisch auszumalen, hat er keine Zeit. Denn das Formmodell, dem dieser Roman folgt, ist das der Komödie. Leicht ließe sich diese aus ihm herausziehen. Man müsste nur die Szenen, die der Erzähler entwirft, auf die Regieanweisungen hin lesen, die in ihnen stecken, und den ohnehin allgegenwärtigen Dialog ganz in den Vordergrund treten lassen. Er ist so sehr der gesprochenen Sprache verpflichtet und mit so vielen venezianischen Redewendungen durchsetzt, dass seine Bühnenfassung schon in ihm steckt. Und die Figuren machen kein Hehl daraus, dass sie Wiedergänger aus dem venezianischen Theater des 18. Jahrhunderts sind, von der mondänen Äbtissin über den trunkenen Faulpelz von Podestà und den beflissenen, Huldigungsverse schmiedenden Abbe, von den hier wie stets im Duett auftretenden durchtriebenen Kammerzofen bis zu den derben Volksfiguren, die den Adligen, der sie kujoniert, windelweich schlagen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, oder ihn gar mit einem wie zufällig herabfallenden Blumenkübel ins Jenseits befördern.
    Es ist nicht irgendeine Komödie, die in diesem Roman steckt. Ippolito Nievo war ein hingebungsvoller Leser – und gelehriger Schüler – des großen venezianischen Theaterautors Carlo Goldoni. So gelang es ihm, die moralische Geschichte der Wiedergeburt der längst abgestorbenen Tugend Venedigs samt der rührend-melodramatischen Liebesszenen zwischen Morosina und Celio durch eine Phalanx komischer Figuren auszubalancieren. Just im Jahre 1749, in dem Nievos Roman spielt, kam Goldonis Volksstück La putta onorata ( Das ehrbare Mädchen ) auf die Bühne des Teatro Sant’Angelo, in dem die gesprochene Sprache einen glanzvollen Auftritt hat, die Gondolieri als Vertreter der einfachen Leute auf die Bühne kommen, die tugendhafte Heldin den Machenschaften verkommener Aristokraten zu verfallen droht und am Ende, nicht minder standhaft als Morosina, die Hand des alten Kaufmanns Pantalone ablehnt, obwohl er zu ihrer Rettung beigetragen hat und sie ihm zu Dank verpflichtet ist.
    Unabhängig davon, ob Nievo bewusst auf dieses zeitgenössische Erfolgsstück zurückgriff, hat seine Heldin mit dem ehrbaren Mädchen Goldonis einen entscheidenden Zug gemeinsam: Beide sind unfähig zur Schauspielerei. In einer Welt, in der Verstellung zum Verhaltensrepertoire gehört, ist das eine auffällige Eigenschaft. In ihr tritt der Kontrast zwischen der Heldin, die mit schlafwandlerischer Sicherheit ihrem moralischen Imperativ folgt, und ihrer Umgebung am deutlichsten hervor. Denn Nievo zitiert nicht nur das Personal und manche Handlungselemente der Komödien Goldonis. Er ruft zugleich mit den Mitteln des Romans eines der erfolgreichsten Elemente der Mythologie der Dekadenz auf, das schon die Zeitgenossen am Venedig des 18. Jahrhunderts herausstrichen: dass Venedig nicht nur eine Hauptstadt des europäischen Theaters und der Oper, sondern insgesamt eine Bühne war. Die Stadt, um 1750 längst schon eine Touristenmetropole, erschien ihren Besuchern nicht zuletzt wegen der langen Karnevalssaison und der Allgegenwart der Masken als eine Welt, in der die Grenzlinie zwischen Sein und Schein aufgehoben, die Schauspielerei in den Alltag eingewandert und das
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