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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus
Autoren: Øystein Wiik
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James Medina
    Pause. Der zweite Akt von Tosca war zu Ende, und das Publikum strömte aus dem Zuschauersaal, um etwas zu trinken, zu sehen und gesehen zu werden. Eine Vorstellung mit dem Tenor James Medina war ein Medienereignis ersten Ranges. Sein Name war in aller Munde. »Fantastisch«, »überirdisch«, »herausragend«, »sexy« – es hagelte nur so von Superlativen. Medina war der neue Pavarotti, und heute gab er sein erstes Gastspiel als Mario Cavaradossi an der neuen Osloer Oper.
    PR-Chef Stein Jørgensen nickte der eleganten jungen Dame an der Bar im Foyer des neu eröffneten Opernhauses in Bjørvika diskret zu. Sie leerte ihr Champagnerglas und näherte sich ihm. Sie hätte Topmanagerin jedes beliebigen Wirtschaftsunternehmens sein können: Chanel-Kostüm in Dunkelmarine und an den Füßen Bruno-Magli-Schuhe als perfekten Abschluss der Konturen ihrer gut trainierten Beine. Das blonde Haar strahlte ebenso selbstbewusst wie die smaragdgrünen Augen. Sie entsprach exakt der Beschreibung, die Jørgensen per Kurier aus Wien bekommen hatte. In einem versiegelten Umschlag. Keine E-Mail. Keine SMS, die zurückverfolgt werden könnte. Niemand sah ihr an, dass sie Sex verkaufte. Er hielt ihr die Tür rechts vom Ticketschalter auf. Der sinnliche Duft von Iris, Aqua di Parma streifte ihn, als sie an ihm vorbeistrich. Der Teufel hole James Medina, Tenor müsste man sein, dachte er. Der Opernkritiker Tom Hartmann hatte in einem seiner Artikel in Opera Today , in dem es um die Lieblingsparfüms berühmter Sänger gegangen war, Aqua di Parma als Medinas Lieblingsduft erwähnt.
    Ungeschickt streckte Jørgensen der jungen Frau die Hand entgegen. Ihr Zögern, ehe sie ihm die Hand gab, gab ihm augenblicklich das Gefühl, extrem unattraktiv zu sein. Nicht, dass sie unfreundlich gewesen wäre, aber sie machte ihm klar, wie unwichtig er in diesem Kontext war. Nicht gerade ermutigend. Sie liefen durch den Gang zwischen Haupt- und Hinterbühne, vorbei an der Werkstatt in die sogenannte Operngasse, die das Gebäude in vorne und hinten teilte. Die Bühnenarbeiter pfiffen leise, und die männlichen Chorsänger blickten ihnen nach, als sie sich immer tiefer in das Labyrinth aus Gängen und Türen begaben, das zur Garderobe des Startenors führte.
    Es war eine Herausforderung, einen Star von James Medinas Kaliber zu Besuch zu haben. Er hatte eine Garderobe mit Meerblick verlangt, die darüber hinaus mit einem Schlafsofa ausgestattet sein sollte, was weit über den Standard der spartanisch eingerichteten Garderoben im neuen Opernhaus hinausging.
    Jørgensen hatte sich schon oft über die Abwesenheit jedweder Ästhetik in diesem Teil des Gebäudes gewundert. Die nackten weißen Gipswände und die roten Türen passten so gar nicht zu der verschwenderischen, lebensbejahenden Grundhaltung der Opernwelt, dachte er. Aber schließlich war er PR-Chef und nicht Innenarchitekt.
    Das Garderobenproblem wurde gelöst, indem man das Büro des Operndirektors in Beschlag nahm. Ein Schlafsofa wurde gekauft und der Raum nach den exzentrischen Wünschen des Startenors eingerichtet. Perserteppiche deckten den hellen Linoleumboden ab, und große Standspiegel in barocker Goldrahmung zierten die Wände. Medinas Wunschliste erforderte ferner original UGG-Pantoffeln ohne Lederschnürung, eine Sprayflasche mit einer Glycerin-Wasser-Mischung, um den Hals von Schleim zu reinigen, zwei Flaschen Brunello-Rotwein, Rotweingläser der Marke Riedel, einen Brunello-Cucinelli-Hausmantel aus Kaschmir und Seide – dabei war es kaum möglich gewesen, einen zu finden, der groß genug für Medina war. Am Ende hatten sie eine Sonderanfertigung aus Perugia ordern müssen, Größe XXXL. Zino-Premium-Zigarren, Zedernholz und Rémy Martin XO zum Anzünden der Zigarren sowie Cognacschwenker aus tschechischem Kristall standen ebenfalls bereit. James Medina war ein Tenor mit großem T.
    Es fiel in Stein Jørgensens Verantwortungsbereich, den Anforderungskatalog ebenso abzuarbeiten wie den Backstage-Rider, den Medinas Manager, Victor Kamarov, geschickt hatte. Die Frau vor ihm war jedoch durch einen dritten Part organisiert worden, der ausschließlich mit Kamarovs Büro in Wien in Kontakt stand. Jørgensens Blick glitt immer wieder auf ihren Po, der sich bei jedem Schritt unter dem Stoff des Rockes abzeichnete. Verdammt, wie er Medina beneidete.
    Die Glasscheiben im Büro des Direktors waren für die speziellen Umstände verblendet worden, und sämtliche Türen, die in den Bürobereich
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