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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video
Autoren: Andreas Eschbach
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    SEIT ER WUSSTE, daß er berühmt werden würde, wartete er auf sie. Daß sie so schnell kamen, erstaunte ihn, aber es überraschte ihn nicht.
    Zuerst war da nur eine Staubwolke, in weiter Ferne. Er nahm sie gleichsam aus dem Augenwinkel wahr, sah dann hoch und überlegte, ob ihm seine erwartungsvoll gespannten Nerven einen Streich spielten. Wahrscheinlich. Fahrzeuge wirbelten solche Staubwolken auf, wenn sie über die steinige Piste fuhren, die etwa eine Meile südwestlich des Lagers verlief. Aber das war sicher nur wieder ein Lastwagen, der in das nahegelegene Dorf wollte. Wahrscheinlich hatte es nichts zu bedeuten. Nicht das, was er erwartete.
    Er wandte sich wieder den wenigen Quadratzentimetern Erde zu, die er seit einer Stunde mit einem Borstenpinsel bearbeitete. Es war heiß. Sie hatten Juni, und schon in den Morgenstunden stiegen die Temperaturen auf achtundzwanzig Grad und mehr. Danach vermied es jeder, auf ein Thermometer zu schauen. Es hatte seit Wochen nicht mehr geregnet, was für die Arbeit natürlich gut war, aber die oberste Schicht des Erdreichs verwandelte sich dadurch in feinen, widerlichen Staub, den der leiseste Windhauch mit sich forttrug, den sie atmeten, aßen, mit sich in ihre Zelte und Feldbetten trugen und bis zum Ende der Ausgrabungsarbeiten nicht mehr richtig loswerden würden. Zusammen mit Schweiß bildete er eine dünne, schmierige Schicht, gegen die die wasserarmen Tröpfelduschen, die sie hier im Lager verwendeten, keine Chance hatten.
    Ja, er mußte sich eingestehen, daß er wartete. Daß etwas in ihm bebte vor Ungeduld. Daß er nur arbeitete, um sich davon abzulenken. Die Münze, auf die er vorhin gestoßen war, als er an einer vielversprechenden Stelle behutsam mit bloßen Händen das Erdreich beiseite geräumt hatte, war ein Schekel aus dem Jüdischen Krieg, eine wertvolle geprägte Silbermünze, die eine Blume mit drei Blütenkelchen zeigte und entlang des Randes eine Aufschrift in der alten hebräischen Schrift aufwies. Mit seinem Pinsel hatte er sie soweit gereinigt, daß sie fotografiert und dann ins Grabungsbuch eingetragen werden konnte. Normalerweise hätte ihn ein solcher Fund in Hochstimmung versetzt. Nur während einer sehr kurzen Periode der römischen Besatzungszeit hatten die Juden Silbermünzen mit hohen Werten geprägt, nämlich in der Zeit des jüdischen Auf Stands, der im Jahr 66 begonnen und im Jahr 70 von römischen Truppen niedergeschlagen worden war. Damals war der Große Tempel zerstört worden, und die jüdische Vertreibung hatte ihren Anfang genommen. Die Münze war ein weiterer Fund, der eine präzise Datierung der Gräber erlaubte, die sie freilegten.
    Aber er war mit seinen Gedanken woanders. Bei dem Fund vom Vortag. Er hatte ihn nicht selber gemacht — einer der Ausgrabungshelfer, ein junger Student aus den Vereinigten Staaten, war darauf gestoßen -, aber er war der einzige, dem seine Bedeutung klar war. Ihn schauderte, wenn er daran dachte. Noch nie zuvor waren Archäologen auf ein so brisantes Fundstück gestoßen, ein Artefakt, das buchstäblich die Grundfesten der Zivilisation erschüttern konnte.
    Die Staubwolke kam näher, hatte jetzt die Abzweigung passiert und, anstatt zum Dorf weiterzufahren, die Richtung auf das Lager eingeschlagen. Charles WilfordSmith legte den Pinsel auf das aufgeschlagene Grabungsbuch, zwischen dessen Seiten der Sand knisterte, und stand auf.
    Die Landschaft ringsum irritierte ihn jedesmal. Stumpfes, ödes Land erstreckte sich in kargen Wellen ringsumher, vegetationslos bis auf vereinzelte dürre Halme, die im Schatten größerer Steine wuchsen. Sie verliehen der Ebene zumindest einen grünen Schimmer, bis sie am Horizont in graue, alte Hügel überging, von deren ursprünglicher Höhe viel abgetragen worden war von einem Wind, der ungezählte Jahrtausende geweht hatte und immer noch wehte. Trotzdem hatte man kein Gefühl von Weite. Man fühlte sich im Gegenteil wie unter einem Brennglas. Als könne man es körperlich spüren, wie die Geschichte von mindestens drei großen Kulturen sich in diesem Land bündelte. Jeder Stein, jeder dürre Krüppelstrauch schien mit Erinnerungen an blutige Dramen und gnadenlose Verfolgungen getränkt zu sein, ferne Echos der Stimmen biblischer Propheten schienen noch von den Bergen widerzuhallen, und die Inbrunst zahlloser Gebete schien den Körper zu durchdringen wie radioaktive Strahlung.
    Bedächtig nahm er den breitkrempigen Sonnenhut ab, den er stets bei der Arbeit trug. Er war so
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