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06 - Prophet der Apokalypse

06 - Prophet der Apokalypse

Titel: 06 - Prophet der Apokalypse
Autoren: Michael J. Parrish
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Ah Ahaual fand alles so vor, wie es ihm sein Sohn beschrieben hatte. Er räumte die Hindernisse beiseite und legte den Eingang frei. Der Fackelschein hielt Raubtiere fern, zog aber Insekten an, die sich in der schwülen Nachtluft tummelten. Und je mehr Ah Ahaual ins Schwitzen geriet, umso größer wurde die Wolke aus Stechmücken, die ihn umschwirrte. Doch die Stiche störten ihn nicht; sein ganzes Streben war nur auf das gerichtet, was er tun musste – um sein Volk und vielleicht alle Menschen zu retten.
    Endlich war es geschafft: Vor ihm lag der Zugang in die natürlich entstandene Höhle. Ah Ahaual zog den Fackelstiel aus dem lockeren Erdreich und drang ins Innere vor. Die Dunkelheit wich vor dem flackernden Schein zurück – aber nicht überall.
    In einer Ecke der Höhle trotzte das Dunkel der Fackel, selbst als Ah Ahaual sie förmlich in die Schwärze hineintauchte.
    Die brennende Spitze verschwand in einem Bereich vollkommener Finsternis, war auf den ersten Handspannen noch als schwacher Schein zu sehen und erlosch dann ganz. Aber nicht die Fackel selbst war erloschen; nur ihr Licht! Wenn das kein Werk der Götter war, was dann?
    Der Kazike atmete ein paarmal tief ein und aus. Dann zog er den Fackelkopf so weit zurück, dass das Dunkelfeld ihn freigab.
    Ah Ahaual beugte sich vor und senkte nun seine freie Hand in das widernatürliche Schwarz. Seine Finger bekamen zu fassen, was Ts’onot hier deponiert hatte, damit der »Weiße Gott« – der falsche Gott – es niemals finden sollte. Als er es anhob, war es leicht wie eine Papageienfeder. Er hielt zweifellos etwas Festes in der Hand, etwas mit vielen Ecken und Kanten, das sich wie ein Kristall anfühlte, doch es besaß kaum Gewicht. Und doch glaubte Ah Ahaual für einen Moment in die Knie gehen zu müssen ob des symbolischen Gewichts, das dem Gegenstand innewohnte.
    Der Himmelsstein.
    Ts’onot gegenüber hatte der »Weiße Gott« erklärt, der Stein könne die Welt aus den Angeln heben. Ah Ahaual war geneigt, dies zu glauben. Nein, er war sich sicher. Denn mit diesem Stein hatte der »Weiße« die Welt in den Untergang stürzen wollen. Fast wäre es ihm gelungen. Ich war so leichtgläubig …
    Das wollte er nie wieder sein.
    Er nahm den Stein, der das Licht trank und sich dadurch allen Blicken entzog, und verstaute ihn in einem mitgebrachten Lederbeutel. Erstaunlicherweise blieb der Beutel sichtbar, denn was immer den Stein umgab, hinderte die Schwärze daran, sich zu entfalten.
    Ah Ahaual verließ die Höhle mit seiner Beute. Aber er eilte nicht einfach davon, sondern stellte akribisch wieder den Zustand her, den er vorgefunden hatte. Erst die Steine, dann Erdreich und Laub – am Ende hätte selbst Ts’onot nicht erkennen können, dass sich jemand an dem Versteck zu schaffen gemacht hatte.
    Um das neue Versteck für den Himmelsstein zu erreichen, benötigte Ah Ahaual keine Fackel. Und so schlich er mit der Nacht als einzigem Komplizen tief in den Dschungel und vergrub den Himmelsstein an einer Stelle, von der nicht einmal Ts’onot erfahren sollte.
    Bevor er zur Stadt zurückkehrte, prägte sich Ah Ahaual sorgsam die markantesten Punkte rings um das Versteck ein.
    Als er in den frühen Morgenstunden zu seiner Frau Came unter die Wolldecke schlüpfte, empfing sie ihn mit Sorgenfalten im Gesicht. »Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan.«
    »Ich auch nicht«, erwiderte Ah Ahaual kühl.
    »Wo warst du? Bei einem anderen Weib?«
    »Wer weiß?«
    Sie rückte von ihm ab.
    Bis zum Aufstehen fanden weder Ah Ahaual noch Came in den Schlaf zurück. Wenn auch beide aus unterschiedlichen Gründen.
    ***
    Puucs altersschwaches Herz schlug höher, als ihn der Ruf des Herrschers ereilte. Er verehrte Ah Ahaual und hatte schon dessen Vater gedient.
    Als er in den Palast eilte, umschloss er die kleine Steineule, das Totem seiner Familie, fest mit der Linken, der Herzhand. Es gab ihm Kraft, als er vor seinen Herrscher trat. »Herr, Ihr habt nach mir verlangt.«
    »Tritt näher, Puuc.«
    Demütig senkte der Baumeister sein Haupt und schlurfte zum Thron des Kaziken. Davor sank er auf die Knie.
    »Steh auf. Du bist kein kleiner Lakai, wie oft soll ich es dir noch sagen.«
    Puuc erhob sich fast widerwillig.
    »Wie lange kennen wir uns?«
    »Ein Leben lang, Herr.«
    Ah Ahaual nickte. »Und kann ich mich auf dich verlassen?«
    Puuc sank spürbar in sich zusammen. Die Hand mit der kleinen Steineule begann zu zittern. »Habe ich Euch Anlass gegeben, an mir zu zweifeln,
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