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Lakritze - Thueringen Krimi

Lakritze - Thueringen Krimi

Titel: Lakritze - Thueringen Krimi
Autoren: Sylke Tannhaeuser
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EINS
    Es war dunkel, doch es störte ihn nicht. Die Nacht war immer schon seine Freundin gewesen. Lautlos pirschte er sich durch das Unterholz wie ein Tier auf der Jagd, wich tief hängenden Ästen und Zweigen aus, umging Büsche und Gestrüpp, bis er sein Ziel erreichte. Er witterte und äugte dorthin, wo sich das Dunkel lichtete. Dann entdeckte er sie.
    Er hatte sie jünger in Erinnerung, wie ein Kind war sie damals gewesen, noch keine achtzehn, mit der Figur eines Knaben. Jetzt wirkte sie älter, reifer. Falten hatten sich um ihren Mund in die Haut gegraben. Es gefiel ihm nicht, und er schluckte. Für einen Moment überlegte er, ob er sich vielleicht getäuscht haben könnte. Er wollte keinen Fehler machen.
    Die Wolkendecke riss auf, Mondlicht fiel auf ihr Gesicht, und er atmete auf. Keine Frage, sie war es. Er hätte sie überall erkannt. Ihr weißblondes Haar schimmerte wie ein Heiligenschein. Sie stand an der Bank, direkt am Waldesrand. Sie erwartete ihn, den Blick in das Tal gerichtet. Alles lief wie geplant.
    Er tastete nach dem Werkzeug in seiner Hosentasche, doch noch ließ er es, wo es war.
    Jetzt drehte sich die Kleine um und setzte sich.
    Langsam schlich er näher. Er wollte sich nicht durch das Knacken im Gehölz verraten. Sie durfte ihn nicht hören, er wollte sie überraschen.
    Als ihn nur noch ein Baum von der Bank trennte, richtete er sich vorsichtig auf. Die Lichter in den Häusern im Tal schienen ihm zuzuzwinkern wie kleine, ferne Sterne.
    Da fuhr die Kleine herum. »Meine Güte, haben Sie mich erschreckt.« Sie musste ihn gespürt haben, obwohl er keinen Laut von sich gegeben hatte. Hastig fingerte sie eine Zigarettenschachtel aus ihrer Tasche.
    Er verließ seine Deckung. »Rauchen ist ungesund.«
    »Schon gut.« Sie steckte die Schachtel zurück. »Was für ein ausgefallener Ort für ein Shooting. Wo ist Ihr Team?«
    »Wer?«
    »Maskenbildner, Fotograf, was weiß ich.«
    Er starrte sie an. Er hatte vergessen, mit welchen Versprechungen er sie hierhergelockt hatte. Es spielte ohnehin keine Rolle.
    »Was ist nun?«, fragte sie.
    Er machte einen Schritt auf sie zu, sie wich ihm aus. Ihr Blick huschte zu den Bäumen hinter ihm. Irgendetwas musste er falsch gemacht haben, etwas, das sie verunsicherte.
    Die Kleine zog sich weiter zurück. »Was wollen Sie?«
    Eine billige Frage. Er unterdrückte ein Kichern. Was er wollte? Sie natürlich, sie war die Beute. Seine Erregung wuchs, und er wischte sich die feuchten Hände an der Hose ab, dann schob er sich ein Lakritzbonbon in den Mund. Seine Zähne mahlten, er schluckte den bittersüßen Speichel hinunter. Kaute, schluckte und schaute.
    Die Kleine trat unschlüssig von einem Bein aufs andere. »Lassen Sie uns anfangen. Ich hab keine Lust, ewig hier herumzustehen.«
    Ihre Worte spornten ihn an. Sie hatte es also eilig. Der Zwang zu kichern wurde übermächtig, er konnte ihn nicht länger zurückhalten. Trotz der Dunkelheit sah er, wie sich der Ausdruck ihrer Augen veränderte. Fragend erst, dann verwundert, und schließlich voller Angst. Jetzt hatte er sie dort, wo er sie haben wollte. Das war der schönste Moment: diese Furcht, die in die Glieder seines Opfers fuhr und es zu einer Salzsäule erstarren ließ. Es war die Rache für alles, was ihm widerfahren war.
    Fast hätte er den Augenblick verpasst. Die Kleine stieß ihn beiseite, sie wollte fliehen, doch er war schneller. Er packte sie und drehte ihr den Arm auf den Rücken. Sie wehrte sich und trat nach ihm. Er drehte den Arm ein Stück höher, bis sie wimmernd in die Knie ging. Ein kurzes Gerangel, dann war alles erledigt.
    Konzentriert verrichtete er seine Arbeit. Er kannte die Handgriffe, er hatte sie schon einige Male vorgenommen. Trotzdem kam er außer Atem. Das war ihm bislang noch nie passiert. Er ärgerte sich darüber, aber nur kurz. Hauptsache, er hatte die Angelegenheit zu Ende gebracht. Ein für alle Mal, das war ihm wichtig.
    Bevor er den Platz verließ, vergewisserte er sich, dass alles war, wie es sein musste. Kein sichtbarer Hinweis, keine Spuren. Das war das oberste Gebot, und er hatte auch dieses letzte Mal nicht vor, davon abzuweichen. Zufrieden bückte er sich unter den tief hängenden Zweigen hindurch, dann verschwand er in der Dunkelheit.
    »Sie haben Glück, es hat aufgeklart. Aber auch ohne die Sonn ist Urlaub besser als daheim«, sagte Frau Ritter, die Wirtin der Pension. Wie jede echte Thüringerin sparte sie sich das »e« an den Wortenden und dehnte beim Reden die
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