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Dunkelziffer

Dunkelziffer

Titel: Dunkelziffer
Autoren: Arne Dahl
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zurück an die Momente, als sie dort am Waldrand gesessen hatten, und er dachte daran, wie Sara, seine allerfeinste Sara, erbleicht war. Während des gesamten Gesprächs war sie immer blasser geworden, und als sie sagte: >Bist du okay, Jorge ?<, war sie weißer, als er je einen lebenden Menschen gesehen hatte.
    Als sie geendet hatte, sagte sie: »Es hat in Stockholm eine Schießerei gegeben. Fünf Tote, mehrere Verletzte, darunter Paul Hjelm, Jon Anderson und Bengt Äkesson. Jorge, Jon, Arto und Viggo haben getötet. Paul und Bengt haben eine Gehirnerschütterung, Jon ist in Ohnmacht gefallen. Drei Mitglieder des Ordens Fac ut vivas haben Schussverletzungen erlitten, keine lebensgefährlich. Daniel Wiklund und Leif Lindström sowie drei baltische Gangster sind tot.«
    »Baltische?«, sagte Nyberg, dem nichts Besseres einfiel.
    »Und Emily Flodberg ist unverletzt«, sagte Sara, in deren Gesicht die Farbe langsam wieder zurückkehrte.
    Gunnar Nyberg nickte. »Mission accomplished«, sagte er, nahm einen großen Schluck Kartonwein und spürte, wie unsäglich er sich nach Ludmila sehnte.
    Das Einzige, was Lena Lindberg denken konnte, war, dass sie hätte dabei sein wollen. Als sie sich als dritte Person in der Kampfleitzentrale auf ihren Platz setzte, war es immer noch nur dieser Gedanke: Ich wollte, ich wäre gestern Abend in der Lagerhalle im Industriegebiet Segeltorp dabei gewesen.
    Als Arto Söderstedt und Viggo Norlander hereinkamen, sah sie die beiden so voller Neid an, dass sie nicht umhinkonnten, sich zu wundern.
    Obwohl ihnen ganz andere Dinge durch den Kopf gingen.
    Sie dachten praktisch genau das Gleiche. Wahrscheinlich war das in der Weltgeschichte noch nie vorgekommen. Was man auch über das alte Gespann sagen mochte, es wäre kaum gewesen, dass die beiden sich glichen. Ihre immer solidere Freundschaft fußte im Gegenteil gerade auf Ungleichheit.
    Doch seit dem gestrigen Abend um kurz nach acht hatten ihre sonst so ungleichen Gedankenbahnen sich einander angenähert, bis sie im Moment des Einschlafens zusammenfielen. Was bedeutete, dass dieser Moment des Einschlafens nicht stattfinden konnte. Beide dachten: Warum haben wir, unabhängig voneinander, auf den großen Mann mit den neun Fingern geschossen? Warum haben wir ihn in den Kopf geschossen? Beide dachten: Was hat uns da gepackt? Wovon konnten wir uns nicht losreißen?
    Die Gespräche des Morgens hatten sich hauptsächlich um den gemeinsamen Entschluss gedreht, niemals herausfinden zu wollen, wessen Kugel tödlich gewesen war.
    Todmüde nahmen sie in der Kampfleitzentrale ihre Plätze ein und wussten, dass sie sich auf jeden Fall ein Stückchen nähergekommen waren.
    Nach ihnen betrat ein ebenso geducktes wie ungleiches Paar den Raum. Was sie vereinte, waren die Bandagen um den Kopf. Sowie je eine schwierig einzuschätzende Beziehung zu Kerstin Holm. Eigentlich hatten weder Paul Hjelm noch Bengt Äkesson etwas in der Kampfleitzentrale zu suchen. Dennoch war ihre Anwesenheit selbstverständlich. Sie grüßten, setzten sich in eine Ecke und sahen ein wenig mürrisch aus.
    Hjelm hatte die Nacht im Söder-Krankenhaus verbracht. Christine Clöfwenhielm war seltsam gegenwärtig. Ihre wohlgesetzten Worte und ihre fantastische Erscheinung. Die ganze Nacht fragte er sich, was mit ihr geschehen war.
    Äkesson seinerseits dachte sonderbarerweise an Marja Willner, die Frau, die ihn auf überaus seltsamen Wegen mitten in eine wahnsinnige Schießerei befördert hatte. Er fühlte das Bedürfnis, sie zu treffen und einen Punkt hinter einen Satz zu setzen, der zu etwas eskaliert war, was er sich in seinen wildesten Gedanken nicht hatte vorstellen können.
    Als Nächste traten Jorge Chavez und Jon Anderson ein. Keiner hatte einen spontanen Applaus erwartet - es war kein guter Zeitpunkt dafür -, aber dennoch kam er. Er wurde nicht von Worten begleitet, und keiner würde sagen können, wer damit begonnen hatte.
    Jon Anderson setzte sich. Er hatte zwar zum ersten Mal in seinem Leben einen Menschen erschossen - einen der Wahnsinnigen mit den Maschinenpistolen - und damit vermutlich dazu beigetragen, den Verlust an Menschenleben zu begrenzen. Aber vor sich sah er etwas ganz anderes - einen Moment, den er sein Leben lang nicht vergessen würde. Er läuft frontal auf einen der Irren mit Maschinenpistole zu, der die Waffe auf ihn richtet. Und fällt.
    Anderson klatschte am Ende des spontanen Beifalls mit und verstand, was lebenslange Dankbarkeit war. Sie kam ihm überhaupt nicht
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