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Dunkelziffer

Dunkelziffer

Titel: Dunkelziffer
Autoren: Arne Dahl
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falsch vor.
    Jorge Chavez stand mitten in dem plötzlichen Lärm und wusste nicht, was er fühlen sollte. Er hatte gegen mehr Vorschriften verstoßen, als er aufzählen konnte, er hatte eine große Anzahl falscher Schlüsse gezogen und sich eigenmächtig verhalten. Dennoch hatte er durch sein Eingreifen eine ganze Reihe von Menschenleben gerettet. Zwei Menschen hatte er getötet - und dennoch in der Nacht gut geschlafen. Er hatte sich Wange an Wange mit Klein-Isabel hingelegt, sich intensiv nach ihrer Mutter gesehnt und war eingeschlafen, ehe er noch die Frage beantworten konnte: Warum macht mein Gewissen mir nicht zu schaffen?
    Als der metallicblaue Saab und der weiße Transporter am Haupteingang der Lagerhalle im Industriegebiet Segeltorp vorfuhren und die vier Männer herausstürmten, hatte Jorge Chavez auf der Stelle verstanden: Auf irgendeine Weise wartet dort drinnen der Tod. Er lief hinter ihnen her, Jon Anderson neben ihm. Und als die Maschinenpistolen in Anschlag gebracht wurden, erlebte er eine tiefe Ruhe, eine absolute Klarheit, in der keine Fragezeichen, keine Komplikationen, keine Überlegungen möglich waren.
    Er fragte sich, ob er jemals wieder einen derartigen Augenblick erleben würde.
    Als der Applaus verklang, fuhr ein einzelnes Händepaar fort zu klatschen, und je länger es klatschte, desto ironischer klang es.
    Alle Anwesenden blickten zur Tür und sahen Kerstin Holm dort stehen und klatschen. Endlich hörte sie auf, trat nach vorn und setzte sich ans Katheder. Sie blickte mit neutraler Miene auf ihre versammelten und verwundeten Truppen.
    Zeit verging.
    Schließlich sagte sie: »Ich habe gerade ein langes Gespräch mit Waldemar Mörner geführt.«
    Wieder verging Zeit von der Art, die nicht gemessen werden kann.
    Dann fuhr sie fort: »Mörner seinerseits hatte ein langes Gespräch mit dem Reichskriminalchef, der ein langes Gespräch mit dem Justizminister hatte, der ein langes Gespräch mit dem Ministerpräsidenten hatte.«
    »Applaudieren sie?«, fragte Söderstedt unschuldig.
    »Soweit man mit einer Hand applaudieren kann«, sagte Kerstin Holm. »Sie klatschen mit der einen und drohen mit der anderen.«
    »Stummer Applaus also«, fasste Söderstedt zusammen.
    »Es hat tatächlich den Anschein, als sollten die Medien darüber entscheiden«, schnaubte Holm. »Man wartet ab. Und ich glaube, man wartet ab, bis die Medien sich entschieden haben, ob es heldenhaft oder wahnsinnig war. Und sie schwanken noch, wie ihr sicher bemerkt habt.«
    Es war wieder für eine unbestimmbare Weile still.
    »Es könnte sein«, sagte Kerstin Holm schließlich, »dass die A-Gruppe künftig aus drei Personen besteht. Den drei Unschuldigen in Ängermanland. Der Rest wird gefeuert.«
    Das Schweigen wurde nur noch intensiver.
    »Es wird eine umfassende interne Untersuchung geben, die auch den Chef der Stockholmer Internabteilung einschließen wird. Er hat nämlich für einen höheren Polizeivorgesetzten auf einem wichtigen Posten als Internermittler ungewöhnlich eigenmächtig agiert.«
    »Im Unterschied zu allen anderen hier im Raum Versammelten«, sagte Paul Hjelm und versuchte, Kerstin Holms Neutralität zu imitieren, die ihres Vorgängers Jan-Olov Hultin durchaus würdig war.
    »Lasst uns jetzt versuchen, die Sache nicht ins Lächerliche zu ziehen«, sagte Kerstin Holm mit stärkerem Nachdruck. »Wir wissen, dass wir ein Blutbad verhindert haben, aber es ist möglich, dass eine reguläre Einsatztruppe mehr verhindert hätte. Aber die zu rufen war wirklich keine Zeit. Und wäre die nationale Einsatztruppe beteiligt gewesen, wäre bestimmt wesentlich mehr Blut geflossen. Aber vielleicht wären Christine Clöfwenhielm und ihr engster Vertrauter dann nicht entkommen.«
    »Dann wären sie tot gewesen«, sagte Paul Hjelm. »Sie ist also davongekommen?«
    »Ich bin ihr nachgejagt, aber sie war verschwunden. Wahrscheinlich hat ihr engster Vertrauter, der andere Gelbgekleidete, der etwas Ältere, Anämische, sich im selben Moment aus dem Staub gemacht, in dem Daniel Wiklund und seine drei Gangster erschienen, und einen Wagen vorgefahren. Vermutlich hatten sie einen ausgearbeiteten Fluchtplan.«
    »Und keine Spuren?«
    »Nein«, sagte Kerstin Holm. »Erfreulicher ist, dass der Pädophilenring gesprengt ist. Als Ragnar Hellbergs Leute in Daniel Wiklunds Wohnung in der Bastugata kamen, fanden sie das Verschlüsselungsprogramm. Heute ist der Tag der großen Razzia. Wahrscheinlich werden sie in den Medien die Heldenrolle der
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