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Dunkelziffer

Dunkelziffer

Titel: Dunkelziffer
Autoren: Arne Dahl
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von einem sehr hohen Ross herab »Untertanen« zu sagen.
    Die Kumpel - nicht >Leute<, niemals >Leute< - hatten ihre Beine zu ihm hinabbaumeln lassen und davon geredet, wie viel leichter man Weiber aufreißen kann, wenn man sich die Mühe macht, zu einem Tanzlokal außerhalb der Stadt zu fahren.
    Rille sagte: »Ein Radius von hundert Kilometern. Da draußen gelten ganz andere Regeln.«
    »Stimmt«, sagte Berra. »Sie pfeifen drauf, dass sie verheiratet sind.«
    Das war der Moment gewesen, als das, was der letzte Spatenstich der Woche hatte sein sollen, verklungen war.
    Dann war das Wochenende gekommen. Es war so blöd, so daneben gewesen. Frauen sind Teufel. Und Engel.
    Glaubt man, sie seien Engel, dann sind sie Teufel, und umgekehrt.
    Marja. Wenn du es doch zugeben würdest. Sag, mit wem du dich triffst. Erzähl, warum er besser ist als ich. Aber lüg mich nicht an. Ich ertrage keine Lügen mehr.
    Ein höllisches Wochenende. Nur Zoff. Schwärzeste Eifersucht.
    Stunde für Stunde war ihm das Skelett deutlicher vor Augen getreten. Je tiefer er und Marja in ihrem Morast versackt waren, desto deutlicher war es geworden. Wie ein Weg in ein besseres Leben.
    Ein Weg, den ich jetzt betreten habe, dachte er, als der Firmenwagen das Zelt erreichte. Er lenkte die geschlossene Ladefläche so nah wie möglich rückwärts an die Grube heran und sah sich um. Ein paar abendliche Spaziergänger. Ausschließlich Touristen. Auch die üblichen Japaner mit Kameras vor dem Bauch.
    Dann sprang er hinaus, kletterte in die Grube, schloss das Zelttuch über sich und knipste die Taschenlampe an.
    In dem Augenblick, als Berra gesagt hatte, >sie pfeifen drauf, dass sie verheiratet sind<, in dem Moment, als das, was der letzte Spatenstich der Woche hatte sein sollen, verklungen war, da hatte er verstanden: Das hier war etwas anderes als das Übliche. Die Ecke eines Sargs. Er hatte sie eine Weile angestarrt. Während er den Sargdeckel freizulegen begann, hatten Rille und Berra we iter von willigen Nynäshamnerin nen und geilen Weibern aus Enköping geredet. Schließlich verschwanden die Beine hinter dem Zelttuch, und Rille rief: »Was ist, Steffe? Kommst du mit zum Systembolaget?«
    »Bevor die Schlange zu lang wird,« ergänzte Berra.
    »Ich geh erst nach Hause«, rief er. »Hab ein paar blöde Ölflecken auf der Hose.«
    »Armer Kleiner«, schrie Rille.
    »Wir sehen uns Montag«, sagte Berra. »Nimm's nicht so tragisch mit deiner Alten, Steffe.«
    »Am besten, wir fahren nach Gimo«, sagte Rille. »Da hat keine Braut 'nen Slip an.«
    Er hörte sie weiter reden, immer leiser, bis nichts mehr zu verstehen war. Es wurde totenstill. Vor ihm der freigelegte Sargdeckel. Er zitterte ein wenig, als er fühlte, dass er lose war. Er schob ihn zur Seite.
    Aber das war am Freitag gewesen.
    Kann sein, dass er den Anblick während des Höllenwochenendes geschönt hatte, doch jetzt - denn jetzt war jetzt - war er sicher, dass ihm schon in dem Augenblick alles klar gewesen war. Gleich beim ersten Anblick.
    Er zog die Arbeitshandschuhe an. Im scharf begrenzten Lichtstrahl der Taschenlampe fegte er die dünne Schicht Erde von der Plane, mit der er den Sarg bedeckt hatte. Alles schien unberührt. Intakt. Sollte Freitag- oder Samstagnacht ein Besoffener in die Grube gefallen sein, dann jedenfalls nicht auf den Sarg.
    Er zog die Plane zur Seite und schob den Sarg vorsichtig an den Rand der Grube. Dann sprang er auf den Gehweg der Stora Nygata, sah sich um, wartete, bis es ganz ruhig war, und schwang sich auf die Ladefläche des Firmenwagens. Er drehte den Kran über das Zelttuch, sprang hinunter und zog das Seil in die Grube. Bevor er es um den Sarg legte, hielt er inne.
    Das war nicht geplant. Es sollte so schnell und reibungslos wie möglich geschehen. Das war der Plan.
    Aber er hielt inne. Wie man vor dem Unsagbaren innehalten muss. Wenn man noch am Leben ist.
    Er schob vorsichtig den Deckel zur Seite.
    Und wieder stand er vor dem Skelett.
    Ein Beben ging durch seinen Körper.
    Und er glaubte, den Zusammenhang zu erkennen. Die Verbindung mit dem Höllenwochenende. Die Verknüpfung mit der besseren Zukunft. Das neue Leben mit Marja. Das Leben, in dem er besser war als diese anderen, die sie ihm ständig wegnahmen. Und sie sollte endlich nicht mehr lügen müssen.
    Alles würde gut werden.
    Sein Blick wich vor den Umrissen des Skeletts zurück. Er vermochte seine Bahn nicht zu vollenden. Es war zu unheimlich. Zu bizarr.
    Dann schob er den Deckel zurück, befestigte
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