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Eine Freundschaft im Winter

Eine Freundschaft im Winter

Titel: Eine Freundschaft im Winter
Autoren: Kaya McLaren
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    Prolog
    AUSTIN, TEXAS
    E s ist nicht übertrieben zu behaupten, dass Jills erster Arbeitstag nach der Auszeit katastrophal verlaufen war – und zwar so katastrophal, dass ihr Vorgesetzter sie früher nach Hause geschickt hatte. Sie war einfach noch nicht bereit, den Alltag im Krankenhaus wieder anzugehen. Es war noch nicht genügend Zeit vergangen.
    Sie weinte noch immer, als zu allem Überfluss vier Blocks von ihrem Zuhause entfernt auch noch ihr Wagen den Geist aufgab. Toll, dachte sie. Einfach toll. Sie schüttelte ungläubig den Kopf und stieg aus dem Auto. Für gewöhnlich zog sie sich ihre Straßenklamotten an, ehe sie Feierabend machte. Doch heute war sie so schnell verschwunden, dass sie noch die Arbeitskleidung trug – die übrigens verdächtig nach Pyjama aussah. Ihr Outfit und die Tränen, die ihr weiter unentwegt übers Gesicht liefen, ließen sie unangenehm auffallen. Sie fühlte sich ausgeliefert und verletzlich, als sie so durch die schicke Wohngegend, in der sie lebte, nach Hause hetzte.
    Als das große, schöne Haus vor ihr auftauchte, war sie erleichtert – auch wenn es in letzter Zeit Ort der Trauer und des Schmerzes gewesen war. Trotzdem war dieses in Holz- und Ziegelbauweise errichtete Haus ihre Zuflucht.
    Sie überquerte die Straße und blieb kurz am Tor stehen, um einen Stapel Post aus dem Briefkasten zu nehmen. Obendrauf lag ein Umschlag mit handschriftlicher Adresse – ein persönlicher Brief! Er kam von ihrer besten Freundin Lisa und war in Sparkle, Colorado, abgestempelt.
    Sparkle – dort wohnte auch Howard, der Bruder ihrer Mutter, der sie bei sich aufgenommen hatte, als sie als Teenager eine schwierige Phase durchgemacht hatte. Wie lange war es her, dass sie ihn zuletzt besucht hatte? Sie versuchte, sich daran zu erinnern, aber sie wusste nur noch, dass es schon mehr als zehn Jahre her sein musste.
    Als Jill den Weg zur Haustür hinunterging, zählte sie wie immer die achtzehn Schritte ab, die es bis dorthin waren.
    Noch vier, drei, zwei, noch einer. Im Augenblick wollte sie nichts mehr, als möglichst schnell im Haus zu verschwinden. Hastig steckte sie den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn herum und drückte die Tür auf. Sie schlüpfte hinein, warf die Tür hinter sich zu und atmete aus. Es war vorbei. Sie war in Sicherheit.
    Dann hörte sie sie. Geräusche. Es klang so, als hätten zwei Menschen, die in ihr Haus eingebrochen waren, Sex. Jill tastete in ihrer Handtasche nach dem Handy, um die Polizei zu alarmieren, als sie plötzlich Davids unverkennbares Stöhnen hörte.
    Das kann nicht sein, dachte sie. Das konnte nicht David sein – ihr David, der im Krankenhaus ihre Hand gehalten hatte, als sie vor sechs Wochen eine komplizierte Fehlgeburt erlitten hatte. Es konnte nicht ihr David sein, der sie heiraten wollte und der dieses Haus gekauft hatte für die kleine Familie, die sie gründen wollten. Es konnte nicht sein.
    Fürchterliche Zweifel überfielen sie. Sie musste es sehen. Sie musste es mit eigenen Augen sehen.
    Mit dem Telefon in der Hand schlich sie die Treppe hinauf. Die andere Hand hatte sie auf ihren Bauch gelegt, der immer noch empfindlich und angegriffen war. Auf dem Treppenabsatz angekommen, schlich sie vorsichtig und lautlos in ihren weichen Schwesternschuhen an der geschlossenen Tür des Kinderzimmers vorbei. Sie hatten beschlossen, die Tür erst einmal zuzulassen, bis sie bereit waren zu entscheiden, ob sie ein Kind adoptieren oder wieder ein Gästezimmer daraus machen wollten.
    Sie ging weiter und blieb vor der Schlafzimmertür stehen. Als sie um die Ecke durch die offene Tür spähte, erblickte sie lange, dunkle Haare, die über den Rücken einer üppigen Frau fielen, die mit gespreizten Beinen auf ihrem Mann in ihrem Ehebett saß. Entsetzt fuhr Jill zurück. Es stimmte also. Wie konnte das sein? Obwohl eine Welle des Schreckens sie überrollte, behielt Fassungslosigkeit doch die Oberhand. Sie spürte das Handy in ihrer Hand und wusste, dass sie ein Bild brauchen würde, das ihr in Momenten der Ungläubigkeit und des Leugnens helfen würde. Wieder wagte sie einen Blick um die Ecke. Mindestens eine Hand ihres Ehemannes grapschte nach den Brüsten der Frau, die wild auf ihm herumhüpfte.
    »Ja! O ja!«, schrie er.
    Jill konnte seine Augen nicht sehen, aber sie sah seine kurzen, lockigen braunen Haare und seine Geheimratsecken, die mittlerweile dramatisch an Tiefe zugelegt hatten.
    Sie streckte den Arm mit dem Telefon von sich und drückte auf den Auslöser,
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