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Eine Freundschaft im Winter

Eine Freundschaft im Winter

Titel: Eine Freundschaft im Winter
Autoren: Kaya McLaren
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Straße.
    Über ihr leuchteten die Sterne heller, als sie es in den niedrigeren Lagen getan hatten. Der Himmel kam ihr viel ausgedehnter vor.
    Sie versuchte, während sie stumm bis vier zählte, die Sterne einzuatmen, die Weite, die Möglichkeiten. Und dann atmete sie aus und zählte wieder bis vier. Ein und aus, ein und aus, Kilometer um Kilometer. Es bedurfte all ihrer Konzentration, um weiterzuatmen.
    Manchmal weinte sie. Manchmal war sie wie erstarrt.
    Sie wollte an den Straßenrand fahren, wollte sich in die eisige Steppe legen und sterben.
    Im Krankenhaus traf sie jeden Tag Menschen, deren Leben eine unveränderliche Wendung genommen hatte. Einige ließen sich trotz verschwindend geringer Chancen nicht unterkriegen und kamen langsam wieder auf die Beine. Und sie sah andere, deren Prognose hoffnungslos war und die trotzdem kämpften. Woran lag es, fragte sie sich, dass manche Menschen aufgaben und andere noch erbitterter kämpften? Wo war ihr Kampfeswille? Sie war leer. Sie hatte keinen Willen mehr.
    Dennoch war sie so vernünftig, um ihr Vorhaben, sich auf die gefrorene Erde zu legen und darauf zu warten, dass ihr zerstörtes Leben zu Ende ging, noch ein bisschen hinauszuschieben. Sie richtete ihre Gedanken stattdessen auf Onkel Howard und Lisa und fuhr weiter. Sie konnte sich ihrer Liebe sicher sein, und immerhin hatten sie sie schon einmal gerettet. Bestimmt gelang ihnen das erneut – solange sie es bis nach Sparkle schaffte. Das sagte sie sich wieder und wieder: Wenn sie es bis nach Sparkle schaffte, ehe der Schmerz sie umbrachte, war sie in Sicherheit. Onkel Howard und Lisa würden dafür sorgen, dass es ihr gut ging.

 
    1. Kapitel
    Schneebericht für den 17. November
    Aktuelle Temperatur: –1, 7 °C, Höchstwert: 0,6 °C um 15 Uhr,
Tiefstwert: –5,6 °C um 4 Uhr.
    Heiter. Wind aus Südwest mit 16 km / h.
    64 cm am Berg, 84 cm auf dem Gipfel; 3 cm Neuschnee in den letzten 24 Stunden; 15 cm Neuschnee in den letzten 48 Stunden.
    C assie und ihr Kindermädchen Nancy saßen schweigend am Tisch und aßen ein Fertiggericht – Käse-Cannelloni von Lean Cuisine. Nancys Art zu atmen ging Cassie auf die Nerven, auch wenn sie wusste, dass Nancy nichts für die Probleme mit ihren Nebenhöhlen konnte. Cassie wollte es nur nicht hören. Es erinnerte sie an die letzten zwei Wochen ihrer Mutter, als es ihr schwergefallen war, Luft zu bekommen. Was alles noch schlimmer machte, war die Tatsache, dass Nancy am Tisch auf dem Platz ihrer Mutter saß.
    Cassie sah zu Nancy und wünschte sich, sie wäre nicht da – weder auf Mutters Stuhl noch als ihr Kindermädchen.
    »Brauchst du etwas, Cassie?«, fragte Nancy.
    »Du sollst da nicht mehr sitzen«, erwiderte Cassie.
    Nancy wirkte überrascht und erhob sich langsam. »Wo soll ich dann sitzen?«, fragte sie freundlich.
    Cassie blickte zu dem Platz, auf dem für gewöhnlich ihr Vater saß. »Da«, sagte sie. »Er ist schließlich derjenige, den du ersetzt.«
    Sie starrte wieder auf ihre Käse-Cannelloni, während Nancy sich umsetzte. Beim bloßen Geruch des Essens drehte sich ihr schon der Magen um. Von allen Fertiggerichten war es zwar das am wenigsten eklig schmeckende, trotzdem war es ihr zuwider. Während der zehn Jahre ihres Lebens, in denen ihre Mutter für sie gesorgt hatte, hatte sie nie aus einem Pappkarton essen müssen. Sie fürchtete, dass sie wie Nancy werden würde, wenn sie weiterhin Tiefkühlkost essen musste – schwach und dick. Nach denklich starrte sie ihr Essen an und fragte sich, ob das überhaupt eine Rolle spielte.
    Ihr Traum von Olympia ging sowieso gerade den Bach hin unter. In diesem Jahr war sie nicht einmal in der Skimannschaft. Wenn sie jetzt Ski fuhr, war sie traurig, so tieftraurig, dass sie sich in den Schnee legen und nur noch schlafen wollte.
    Wieder blickte sie auf ihr Essen und wollte es in die Ecke schleudern, doch nicht einmal dafür hatte sie noch genug Ener gie. Also sagte sie: »Ich hasse diesen Mist!«, und stand auf. Dann stapfte sie die Treppe zu ihrem Zimmer hoch und schloss sich ein.
    Von ihrem Zimmer aus konnte Cassie die Geräusche von Nancys allabendlicher Routine hören. Zuerst vernahm sie das Öffnen und Schließen des Edelstahlmülleimerdeckels, als Nancy die Pappbehälter mit dem Fertigessen hineinwarf. Dann ertönte das Quietschen der Feder in der Klappe der Geschirrspülmaschine, die Nancy aufmachte, um die Gabeln einzuräumen. An schließend erklang das Geräusch von fließendem Wasser, und zweieinhalb Minuten später
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