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Eine Freundschaft im Winter

Eine Freundschaft im Winter

Titel: Eine Freundschaft im Winter
Autoren: Kaya McLaren
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vielleicht geschickt worden war, um ihm Glauben zu schenken – den Glauben daran, dass seine Frau während ihres Kampfes beschützt und gestärkt werden würde. Er hatte es glauben wollen. Und er glaubte es wirklich. Aber während all dieser Zeit hatten er und seine Tochter Cassie unerträgliches und scheinbar nicht enden wollendes Leid erlebt, und er hatte den Gott hinterfragt, der in dieser Situation kein Wunder zugelassen hatte. Er hatte keine Göttlichkeit in all dem Leiden gesehen, keine Göttlichkeit in einem Gott, der seiner Tochter die Mutter nahm. Doch er hatte Göttlichkeit in der Unterstützung und den guten Gedanken gesehen, die die Gemeinschaft seiner Familie hatte zuteilwerden lassen.
    Das war es, woran Mike am Ende glauben konnte: an die Menschen. Es waren die Menschen und ihre Güte, die er als Segen empfand. Es waren Menschen, die Helden waren, großzügige Menschen, und solche, die einander trösteten.
    Und er glaubte an die Natur, an den Überlebenswillen, an die Art, wie alle Geschöpfe sich an den letzten Rest von Leben klammerten und darum kämpften. Er glaubte an die Zellteilung und daran, dass selbst die bösartigsten Schäden behoben werden konnten. Er glaubte an das Leben.
    Gerade als ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, starb das Mädchen im Wagen. Alle Bemühungen waren umsonst gewesen. Und obwohl er froh war, dass die Kleine nicht mit grauenvollen Schmerzen und ohne ihre Eltern und ihren Bruder im Krankenhaus aufwachen würde, war er traurig, dass sie tot war. Er fragte sich wieder, wo Gott dieses Mal war, wollte aber keine Erklärungsversuche hören, um Sinn in etwas zu sehen, das keinen Sinn hatte. Er wünschte sich, dass mehr Menschen den Mut hätten, einfach zu sagen, dass sie es nicht wussten.
    Er war froh, dass nicht er derjenige war, der den Hinterbliebenen der Familie die schreckliche Nachricht überbringen musste. Erst vor vier Monaten war Kate gestorben, und er fand es unglaublich schwierig, mit dem Schmerz anderer Menschen umzugehen, wenn er noch nicht einmal mit seinem eigenen Schmerz zurechtkam. Auch wenn er selbst nicht an Gott glaubte, so hoffte er, dass die Hinterbliebenen es taten. Er hoffte, dass sie eine Erklärung, eine Geschichte fanden, die ihnen Trost und Halt gab. Eine Geschichte, die den schmerzlichen Verlust erträglicher machte und ihnen half, morgens aufzustehen.
    John und Ben saßen hinten im Wagen und schwiegen. Sie alle wussten eines nur zu gut: Das Leben war fragil. Und manchmal war es unsagbar traurig.
    Zwei Blocks von Mike und Cassies Zuhause entfernt tat Lisa Carlucci so, als würde sie schlafen, während Cody aufstand und sich leise anzog. Sie nahm es nicht persönlich, dass er sich davonschlich. Sie verstand es. Immerhin hatte sie es selbst schon getan. Und um ehrlich zu sein, war sie erleichtert. Sie wollte ihm nicht bei Tageslicht ins Gesicht sehen, um zu erkennen, wie wenig ihm die Nacht mit ihr bedeutet hatte. Es war schon schlimm genug gewesen, es ihm im Dunkeln angemerkt zu haben. Sie spürte tief in ihrem Inneren ein Unbehagen, eine Leere, aber sie war nicht böse auf ihn. Sie hatte sich bewusst dafür entschieden.
    Sie hörte, wie Cody langsam die Treppe hinunterging – ohne Zweifel hatte er bei jeder knarrenden Stufe Panik, sie auf zuwecken. Unwillkürlich musste sie lächeln, als sie daran dachte, welche Ängste er im Moment ausstand. Sie lauschte auf das Geräusch der Eingangstür, die geöffnet und dann leise ins Schloss gezogen wurde. Erst jetzt schlug sie die Augen auf. Sie war ihm dankbar, dass er keinen Lärm gemacht hatte, denn sie wollte nicht, dass einer der Jungs nebenan aus dem Fenster sah und auf ihn aufmerksam wurde.
    Sie hatte ihren Glauben an die Liebe verloren, und deshalb hatte sie sich mit dem abgefunden, was sie hatte. Sie musste endlich Reue dafür zeigen, ihren Körper behandelt zu haben, als wäre er ein billiges Motel und kein Tempel.
    Sie ging ins Bad und hielt inne, um einen Blick in den bodentiefen Spiegel zu werfen. Sie schlang die Arme um sich und sagte laut: »Was mache ich eigentlich? Das hier ist keine billige Absteige.« Obwohl sie müde war und sich ins Bett zurücksehnte, stieß sie der ihr anhaftende Geruch nach Cody und Sex ab. Sie ging unter die Dusche.
    Als sie sich abtrocknete, fragte sie sich, wie ihr Leben aussehen sollte, denn genau genommen konnte sie sich auch nicht vorstellen, jemanden zu heiraten. Verheiratete Frauen wurden betrogen. Sie erlebte das oft mit. Es war nicht nur so, dass sie die
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