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Die vier Söhne des Doktor March

Die vier Söhne des Doktor March

Titel: Die vier Söhne des Doktor March
Autoren: Brigitte Aubert
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1 Eröffnung
    Tagebuch des Mörders
    Das erste Mal … Nein, zuerst möchte ich Ihnen guten Tag sagen. Guten Tag, liebe Freunde. Liebe neue Freunde. Guten Tag, liebes geheimes Tagebuch. Guten Tag, liebes geheimes Ich, das heute beschließt, sein Leben und das seiner Familie zu erzählen.
    Vor allem habe ich Lust, über eines zu sprechen: »Dies.«
    Das erste Mal, ich war … unnötig, ein genaues Alter anzugeben, sagen wir, ich war ein Kind. Ein nettes, kleines Kind. Auch sie war ein Kind. Sie trug ein Kleid, ein rotes Kleid aus Nylon, und das Rot war leuchtend und schön. Ich wußte, daß es lodernd brennen würde, Nylon, wie eine Fackel.
    Als ich ihr Kleid anzündete, schrie sie, dann brannte sie. Ich sah sie an, bis sie völlig verbrannt war. Sie war ganz mit Blasen überdeckt, und ihre Augen quollen aus dem Kopf. Ich erinnere mich sehr gut daran, obwohl ich noch ganz klein war. Aber ich habe schon immer ein hervorragendes Gedächtnis gehabt.
    Ich genoß es, sie brennen zu sehen. Ich wußte, daß sie sterben würde. Ich genoß das. Ich genieße das. Den Tod bringen. Den Tod.
    Das war das erste Mal. Danach kam Mama und nahm mich in ihre Arme. Mama liebt uns alle sehr. Sie ist sehr nett, sehr sanft. Sie weinte. Ich fragte mich, ob sie weint, weil sie es weiß.
    Ich wollte Mama nicht weh tun.
    Ich löste mich aus ihren Armen, die klebrig vom Schweiß waren. Ich ging weg, während sie stehenblieb und weinte. Dann kam ich mit den anderen zurück. Mama saß auf dem Boden und weinte immer noch. Sie sagte nichts. Sie sagte auch dann nichts,  als ich wieder damit anfing.
    Ich habe Lust, es zu sagen. Ich habe die ganze Zeit Lust, es zu sagen. Ich habe mehrere Male wieder damit angefangen. Es macht mir noch genausoviel Vergnügen, weißt du, mein geheimes Tagebuch, es macht mir noch genausoviel Vergnügen zu töten. Sie sagen, daß es weh tut. Daß es schlecht ist, weh zu tun. Was verstehen sie schon davon? Es ist gut, weh zu tun. Es ist sehr gut, ich liebe es.
    Jedenfalls kann ich mich nicht beherrschen, ich muß es tun. Nicht weil ich verrückt bin. Sondern weil ich Lust dazu habe: Es macht mich unglücklich, mich zurückzuhalten. Ich muß es tun.
    Aber ich muß auch vorsichtig sein. Weil ich jetzt groß bin. Sie würden mich verhaften. Mama könnte sie nicht daran hindern. Vor allem, weil sie alt und debil geworden ist.
    Ich lache, weil ich mir vorstelle, daß jemand meine Aufzeichnungen lesen könnte. Ich verstecke sie gut. Aber es gibt immer Schnüffler. Ich werde sie ordentlich foppen. Achtung, Schnüffler, seht euch vor, der Feind belauert euch. Ich bin nicht so dumm, ich schreibe nur, wenn ich ganz allein bin. Und ich werde mich nicht beschreiben. Meinen Namen sagen und so. Nein, keinerlei Erkennungszeichen. Ich bin wie eine Leiche, die man in einem Wandschrank verstecken muß.
    Ich weiß, daß es gefährlich ist, alles aufzuschreiben. Aber ich habe Lust dazu. Ich will das alles nicht mehr für mich behalten, und außerdem … habe ich auch Lust, von uns zu reden, von unserer Familie.
    Mich identifizieren … das könnten sie nicht.
    Ich kann mit niemandem sprechen. Das ist normal, denn ich bin niemand. Memoiren von Niemand, das ist zum Lachen, so was als Titel.
    In unserer Familie gibt es vier Kinder. Vier Jungs. Papa ist Arzt. Wir, das sind Clark, Jack, Mark und Stark. Es war Mama, die sich einen Spaß daraus gemacht hatte, uns so zu nennen. Wir sehen uns sehr ähnlich. Das ist normal, denn wir sind sozusagen Vierlinge. Ja, wir sind alle am gleichen Tag geboren. Damals standen wir in allen Zeitungen auf der ersten Seite. Vier hübsche Knaben. Wir sind kräftig, dunkel, gelockt, mit großen Händen. Wir sehen Papa ähnlich. Mama ist klein: Sie hat rosige Haut, häßliches braunes Haar, das sie obendrein künstlich blondiert, und blaue Augen. Wie Papa. Wir haben alle blaue Augen. Wir sind eine einheitliche Familie.
    Wer aus dem Rahmen fällt, den erwischen sie, das weiß ich. Ich töte irgend jemanden, irgendwie. Ich bin kein Psychopath. Was zählt, ist, daß sie sterben. Wenn sie sterben, muß ich mich beherrschen, um nicht vor Freude zu glucksen, um nicht vor Vergnügen zu schreien. Ich zittere. Ich muß nur daran denken, dann zittern meine Finger, wie jetzt.
    Clark möchte Medizin studieren. Jack ist auf dem Konservatorium. Mark ist Referendar bei einem Anwalt. Stark bereitet sein Diplom in Elektrotechnik vor.
    Und ich, ich bin einer von ihnen.
    Und meine Hände sind voller Blut.
    Das amüsiert mich. Genau das
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