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Dunkelziffer

Dunkelziffer

Titel: Dunkelziffer
Autoren: Arne Dahl
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Holm und drehte sich zu Emily Flodberg um, die wie angenagelt in ihrer Ecke stand.
    Zu ihr sagte sie: »Emily, guck weg. Es ist bald vorbei.«
    »Das war also eine Rettungsaktion?«, sagte Emily mit überraschend fester Stimme.
    Arto Söderstedt starrte auf die beiden Schnittflächen des abgetrennten Halses hinunter und dachte: Yes, das war eine Rettungsaktion.
    Dann übergab er sich.
    Viggo Norlander kam zu ihm, legte ihm den Arm um die Schultern und sagte: »Du und ich, Arto, wir waren die Einzigen, die noch nie getötet hatten.«
    »Scheiße«, sagte Arto Söderstedt und erbrach sich noch einmal.
    Kerstin Holm schrie, so laut sie konnte: »Alle bleiben jetzt ruhig stehen. Sonst schießen wir.«
    Wie leicht es sich auf einmal sagt, dass man schießen wird, dachte sie und ging zu Paul Hjelm. Sie kniete sich neben ihn, zog das Klebeband ab und sagte: »Und hier liegst du und lässt es dir gut gehen.«
    Die Schreie vereinigten sich mit der Musik zu einer durchdringenden Kakaphonie.
    Es war eine Kriegszone.
    Paul Hjelm sagte: »Und das alles nur meinetwegen...«
    34
    Vermutlich war es Einbildung, aber die Kampfleitzentrale wirkte wie in Staub gehüllt. Als die Mitglieder der A-Gruppe nacheinander den ehemaligen Vortragssaal betraten, war es, als würde er geputzt. Als würde aller Staub weggebrannt.
    Denn die Eintretenden standen im Mittelpunkt des Geschehens. Im Blickpunkt der Medien.
    Sie waren die heißesten Personen der Stadt.
    Und keiner von ihnen wollte es sein, wirklich keiner.
    Zuerst trat ein Trio ein, das gerade aus Ängermanland angekommen war. Sie fühlten sich ein wenig fremd, und im Grunde waren sie damit zufrieden. Es blieb unklar, ob die anderen Helden oder Schurken waren, aber Sara Svenhagen, Gunnar Nyberg und Lena Lindberg waren auf jeden Fall weder das eine noch das andere.
    Zumindest nicht verglichen mit den anderen. Allerdings erlebten es sowohl Gunnar Nyberg als auch Sara Svenhagen, dass Bilder aus der kleinen Zelle auf der Polizeiwache von Solleftea blitzartig vorüberflimmerten.
    Was in Lena Lindbergs Innerem eigentlich vor sich ging, war weniger sicher. Sara versuchte, ein Auge auf sie zu haben, um zu sehen, ob Anzeichen irgendeines Traumas auftauchten, doch Lena wirkte ganz im Gegenteil stabiler, undurchdringlicher denn je. Und vielleicht musste Sara sich damit zufriedengeben.
    Sie hatten auf dem verlassenen Gelände von Gammgärden in Saltbacken gesessen und am Waldrand in einer gewissen Ruhe in Gesellschaft eines Weinkartons den anbrechenden Abend eingetrunken, als Jorge Chavez anrief. Sie hatten gerade die DNA-Resultate aus dem Labor erhalten und aufgehört, darüber nachzugrübeln. Sten Larsson war nicht mit
    Emily Flodberg verwandt. Das war wiederum der große Mann mit den neun Fingern. Er war ihr Vater, und er stand im Straftatenregister. Unübersehbar. Er hieß Leif Lindström und hatte sich i n den Achtziger- und Neunziger J ahren wiederholt sexueller Über griffe an Minderjährigen schuldig gemacht. Bei seinem letzten Gefängnisaufenthalt - er war vor etwa einem Jahr aus Hall entlassen worden - hatte er sich ohne Begründung seinen linken kleinen Finger abgeschnitten. Er bekam in Hall nur Besuch von einer einzigen Person. Ihr Name war Christine Clöfwenhielm.
    Es war neun Uhr am Abend, und der dichte Wald schien immer näher zu rücken. Es war, als säßen sie dort alle drei und drückten sich dichter und dichter aneinander. Als wäre etwas sehr, sehr Dunkles im Begriff, in ihre Herzen einzudringen. Aus dem Dunkel kam eine Art Rede, die sie offenbar an die dünne Schale der Zivilisation erinnern wollte, an das Urzeitdunkel unter der Oberfläche, an die schwer fassbaren inneren Triebkräfte des Lebens.
    »Ja«, sagte Sara Svenhagen, und das Dunkel kam näher.
    Sie sagte während des gesamten Telefonats nichts. Erst ganz am Schluss. Da sagte sie: »Bist du okay, Jorge?«
    Sie sagte es mit einer Stimme, wie sie sie fast ein Jahr lang nicht hatte aufbringen können, sie sagte es mit all der Wärme, die plötzlich freigesetzt wurde. Wie wenn das Eis bricht.
    Als sie später wieder vereint waren, Jorge und Sara, Sara und Jorge, da war all das Schwierige, waren all die verfluchten Eisschichten, die sich zwischen ihnen aufgetürmt hatten, wie fortgeblasen. Oder fortgebrannt.
    Es war seltsam. Aber es war wunderbar.
    Sara fühlte, dass sie lächelte, als sie sich auf ihren Platz in der Kampfleitzentrale setzte. Gunnar Nyberg setzte sich neben sie. Er dachte zurück an das Gespräch. Er dachte
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