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Die vierte Todsuende

Die vierte Todsuende

Titel: Die vierte Todsuende
Autoren: Lawrence Sanders
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silberweiße Haar glatt zurückgekämmt, scharf blickende hellgraue Augen unter silbernen Brauen. Normalerweise war sein Gesicht straff und glatt und rosig wie das eines Kindes, im Profil allerdings scharf geschnitten, mit vorspringender Nase und starkem Kinn. Jetzt jedoch wies es tiefe Falten auf, die Tränensäcke waren gequollen, die Wangen hingen schlaff.
    »Monica hat kürzlich mit Karen in der Stadt gegessen«, bemerkte Delaney. »Karen sieht angeblich blendend aus?«
    Thorsen blickte abwesend auf: »Wie? Was?«
    Delaney versetzte sanft: »Von Karen ist die Rede. Ihrer Frau.«
    »Richtig. Entschuldigen Sie.« Thorsen lachte verwirrt. »Ich habe nicht zugehört.«
    »Da stimmt doch was nicht«, behauptete Delaney und beugte sich besorgt vor.
    »Zwischen mir und Karen, meinen Sie? Da könnte es nicht besser sein. Nur — im Präsidium, da könnte es nicht schlechter sein.«
    »Was denn — politischer Druck?«
    »Ja, nur diesmal nicht von oben, sondern innerhalb unseres Ladens. Möchten Sie davon hören?«
    Das mochte Delaney eigentlich nicht. Der Bürointrigen in den höheren Rängen wegen hatte er sich vorzeitig pensionieren lassen. Mit Dieben und Mördern war er fertig geworden, aber die geradezu byzantinische Intrigenspinnerei innerhalb der Behörde, die Kabalen und die Cliquenbildung, der nackte Ehrgeiz, der blanke Hass zwischen den Karrieristen, das alles war ihm unerträglich geworden, Anfangs, zu Beginn seiner Karriere, als Sergeant, als Leutnant und Captain, da hatte er es noch ertragen, hatte sich herausgehalten oder Kompromisse gemacht, wenn es nicht anders ging.
    Aber schon als Inspektor hatte ihm die heimliche Konkurrenz arg zugesetzt, und als er dann stellvertretender Chef der Kripo wurde, fand er sich in einer Lage, in der ein einziger Missgriff neidischen Konkurrenten die Möglichkeit gegeben hätte, ihn nach zwanzig Dienstjahren von einem Monat zum anderen absägen zu lassen, schließlich kam man als Chef auch kaum noch zur Arbeit, die aber trotzdem erledigt sein wollte, weil man dauernd hinter sich blicken musste, um rechtzeitig den Mann mit dem Messer zu entdecken. In dieser Situation verschlang jedermann Beruhigungstabletten wie Halbwüchsige Pralinen.
    Es war sein Wunsch gewesen, als Chef der Kriminalpolizei jene Arbeit zu tun, von der er sehr gut wusste, dass er sich darauf verstand, aber statt dessen musste er seine Zeit damit verbringen, nervösen Vorgesetzten das Händchen zu halten und auf der Hut zu sein vor Kommunalpolitikern, die genug Einfluss hatten, ihm das Leben zur Hölle zu machen, falls er nicht umgehend den Bösewicht fand, der dem Töchterchen die Handtasche geraubt hatte.
    All dies war ihm zu viel gewesen, und er hatte sich pensionieren lassen. Später gab er gelegentlich zu, dass es auch an ihm gelegen haben mochte, er war einfach nicht der Mensch ›mitzumachen‹. Vielmehr reagierte er eher wütend, achtete bewusst auf seine persönliche Würde und kannte keinerlei Zweifel an seiner Befähigung. Ändern konnte er sich nicht, und die Behörde konnte er ebenfalls nicht ändern. Also schied er aus, bevor er Magengeschwüre bekam. Manchmal allerdings grübelte er darüber nach, wie es wohl geworden wäre, wäre er geblieben…
    Jetzt also sagte er widerstrebend, aber liebenswürdig: »Gewiss doch, Ivar, schießen Sie los.«
    Thorsen nahm einen kleinen Schluck. »Sie kennen Murphy? Einen Ihrer Nachfolger?«
    »Wir waren zusammen auf der Polizeischule. Sehr tüchtiger Mann, wenn auch etwas schwerfällig.«
    »Der scheidet Ende des Jahres aus. Prostatakrebs.«
    »Na, so ein Jammer! Ich muss ihn unbedingt besuchen.«
    »Tja…« Der Admiral blickte nachdenklich in sein Glas. »Murphy glaubt, er hält noch bis Jahresende durch. Ich bezweifle das aber sehr. Er war jetzt schon so oft krank geschrieben, dass wir jemand anderen auf seinen Posten setzen mussten. Im Laufe des Monats will der Commissioner ihn endgültig neu besetzen.«
    Das fand Delaney nun doch interessant. »Wer schmeißt denn den Laden im Moment?«
    Thorsen streckte die Beine von sich und holte etwas aus. »Sie erinnern sich bestimmt noch daran, dass es früher hieß, in New York stellten die Iren die Polizisten, die Juden die Lehrer und die Italiener die Straßenreinigung? Na ja, das ist alles vorbei, wenn auch nicht gänzlich. Bei uns gibt es noch eine alte Garde von irischen Beamten, die für ihres gleichen sorgen, die wollen einfach nicht wahrhaben, dass die Zusammensetzung der Bevölkerung sich geändert hat.
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