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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition)
Autoren: Antonio Skármeta
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sagte Señor Santos.
    Als ihr Abriss angekündigt wurde, gingen mein Vater und ich zusammen mit den Franziskanerbrüdern auf die Straße.
    Papa hielt vor dem Brunnen mit der Blumenpergola eine Rede.
    Er verglich die Kirche mit dem guten, bescheidenen Franz von Assisi und Pinochets Regierung mit dem Wolf.
    »Der Wolf von Gubbio«, sagte er.
    Ich weiß nicht, wo er diese Dinge immer her hat.
    Er kann einfach nicht den Mund halten.
    Und mir will er noch das Seufzen verbieten.
    Die Polizei rückte an, und als Erstes setzten sie Wasserwerfer ein. An das Wasser gewöhnt man sich. Man muss nur achtgeben, dass einen nicht ein harter Strahl gegen eine Wand schmettert und einem der Schädel bricht. Am besten wirft man sich auf den Boden.
    Sollen sie einen nass machen. Und einen liegen lassen wie einen begossenen Pudel.
    Señor Paredes pflegte zu sagen, während er sich vor dem Wasserstrahl bückte: »Relax and enjoy it.«
    Tränengas ist schon etwas anderes. Wenn man es direkt ins Gesicht bekommt, kann man erblinden.
    Ich habe immer im Zentrum gelebt. Meine ganzen achtzehn Jahre. Die Calle Lastiarria. Villavicencio. Die Sodabars mit ihren Serviermädchen, die sich anmalen wie Kabaretttänzerinnen.
    Jetzt erscheint der Busfahrer auf dem Trittbrett und ruft uns zu, dass wir in drei Minuten abfahren.
    Ich umklammere die Hundertpesomünzen in meiner Tasche und sehe mich nach einer Telefonzelle um.
    Da taucht Patricia Bettini auf.
    Während sie auf mich zu rennt, fängt mein Herz heftig an zu klopfen.
    In meinen Armen kommt sie mir kleiner und zierlicher vor als sonst. Ihr braunes Haar fällt ihr offen über die Schultern, keine Spur mehr von Spängchen und Schulmädchenzöpfen.
    Heute hat sie keine Schuluniform an.
    Sie trägt einen knapp sitzenden roten Rock.
    Ihr Busen drückt sich durch den Stoff, und das Dekolleté ist tief ausgeschnitten.
    Ihre knallrot geschminkten Lippen passen perfekt zu dem Rock. Dieser Mund ruft »küss mich«, »beiß in mich hinein«. Ich muss schlucken. Die Härchen, die mir seit Kurzem am Kinn sprießen, streifen ihre Wange. Ich atme ihren Duft ein. Ihr Haargel, das nach tropischen Früchten duftet, macht mich schwindlig.
    »Bist du bereit?«, fragt sie mich.
    Was denkt sie denn. Seit Tagen bin ich aufbruchsbereit. Ich lebe in einem Land, das »Nein« sagt, und ich weiß bis ins letzte Nervenende, dass mir das niemand mehr nehmen wird. An meinem Puls, meinen Schläfen, in denen es pocht wie wild.
    An meiner Erektion.
    Mann, ist die Demokratie erotisch!
    »Ich bin bereit«, sage ich und umgehe damit alles Unsagbare.
    Sie steckt mir die Fahrkarte in die Tasche meines weißen Hemds, dann legt sie mir die Finger auf die Stirn wie ein Arzt, der prüft, ob man Fieber hat.
    »Also, Nico Santos, nach Valparaíso, einsteigen, bitte!«

ZWEIUNDVIERZIG
    P atricia Bettini zeigt Nico Santos das blau eingeschlagene Notizheft, in dem ihr Vater seine Ideen für die »Nein«-Kampagne festgehalten hat.
    Ein Pferd, das über eine Wiese galoppiert: das Pferd der Freiheit.
    Eingeschaltete Scheibenwischer an einem Taxi: das »Nein« der Freiheit.
    Ein schlagendes Herz, Systole und Diastole: der Rhythmus der Freiheit.
    Eine alte Frau, die in Don Aníbals Laden einen Teebeutel kauft: den Tee der Freiheit.
    Ein Polizist, der einem Studenten auf den Kopf schlägt: die Stunde der Freiheit.
    Lied: Ich will ihn nicht, Papa, ich will ihn nicht, Mama, ich will ihn nicht auf Englisch, nicht auf Mapudungu, nicht als Tango, nicht als Bolero, nicht als Foxtrott, nicht als Cumbia oder Cha-Cha-Cha, ich will ihn nicht, ich will ihn nicht, mein Liebster, ich will nur die Freiheit.
    Christopher Reeves ist in Chile. Sein Statement aufnehmen: Er ist gekommen, um die Schauspieler zu schützen, die Todesdrohungen erhalten. Er soll etwas sagen. Etwas wie: »Okay, folks, you’re right, remember that the vote is secret and that Chile be a free country depends on you.«
    Übergroßer Supermann: die Freiheit auf Englisch.
    Jane Fonda filmen, ich weiß nicht, wo man sie antreffen kann, ich habe sie im Radio sagen hören: »During all these years the pain of Chile has been our pain, now the future of Chile is in your hands.«
    Jane mit dem Song: »These boots are made for walking, and they will walk all over you, walk boots, walk over Pinochet, walk, walk, walk … to freedom.«
    Dazu ein Cueca-Tanz: »Tiquitiquití, tiquitiquitá, sag nein, und die Freiheit ist da.«
    Nicht zu vergessen Violeta Parras »Gracias a la vida«: Das Leben gab mir das
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