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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition)
Autoren: Antonio Skármeta
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erkältet.
    Er möchte wissen, warum ich nicht zur Schule gehe.
    Mir entweicht ein Lächeln, und da muss er auch lächeln.
    Für solche Gelegenheiten habe ich ein großes Repertoire an Sprüchen, die ich von Papa gelernt habe. Diesmal wähle ich den: »Wenn Gott verzeihen will, stellt er nicht viele Fragen.«
    Er möchte wissen, ob es um ein Mädchen geht.
    »Es geht nicht um ein Mädchen, Che. Es geht um Patricia Bettini. Ich lade sie nach Valparaíso ein.«
    Ich sage, »ich lade sie nach Valparaíso ein«, dabei hat sie alles organisiert. Sie hat Doña Magdalena gebeten, ihr das Taschengeld vorzuschießen, und alle ihre Schulbücher an ein Antiquariat verkauft. »Das ist der Vorteil, wenn man keine kleinen Geschwister hat, Nico. Für diese Bücher hat bei uns zu Hause niemand mehr Verwendung. Ich will das alles los sein, Algebra, Chemie, Geschichte, Physik.«
    »Jungfräulichkeit.«
    Sie sagt es, als wäre das ein besonders schwieriges Fach. Sie hat nicht gesagt: »Ich will meine Jungfräulichkeit los sein.« Sie hat gesagt: »Ich will Jungfräulichkeit los sein.«
    Wir standen hin und wieder schon kurz davor, »die Verteidigungslinie zu durchbrechen«, wie der Sportreporter Julito Martínez im Radio sagt. Wir beide kennen die Romane und Gedichte, die die freie Liebe propagieren, und wir haben uns überall angefasst.
    Aber immer hat sie eine Ausrede gefunden. Zum Beispiel: »Die Liebe ist ein gesteigerter Ausdruck von Glück. Wenn man nicht glücklich ist, soll man sich nicht lieben.«
    Darin waren wir uns einig, wenn wir weit weg von irgendeinem Bett waren. Aber sobald wir allein bei mir waren, oder auch bei ihr, wenn ihre Eltern weg waren, sind wir beinahe zur Sache gekommen.
    Und dann war da natürlich meine Traurigkeit.
    Jetzt zeigt sie mir ein Gedicht, in dem sie Folgendes angestrichen hat: »Die Menschen haben das Recht auf Glück, auch ohne Erlaubnis.«
    Was wir erlebt haben, hat uns sehr verändert. Es ist, als wären wir über Nacht erwachsen geworden.
    Sie will ihr Leben, auf der Stelle.
    Ich will Zärtlichkeit, geben und bekommen.
    Wir beide sind in Aufbruchsstimmung. Das hat sie gesagt und mir einen Grappa eingeschenkt. Aus Italien. Die Flasche sieht aus wie eine Skulpur. Auf dem Etikett steht Grappa Morbida .
    Er brennt in der Kehle.
    Che rät mir, ich soll in eine Apotheke gehen und Mützchen besorgen. Ich weiß nicht, ob ich das will. Ich will wissen, wie sie ist, sie spüren. Und mit Mützchen … Wahrscheinlich ist es dumm, was ich denke. Ich werde machen, was Patricia Bettini sagt.
    Am Busbahnhof wird durch die Lautsprecher der nächste Bus nach Valparaíso angekündigt, in zehn Minuten fährt er ab. Der Fahrer hat die Beine aufs Armaturenbrett gelegt und liest La Cuarta . Die Zeitungsblätter zittern im Luftzug des kleinen Ventilators. Ich werfe einen Blick in den Bus, aber Patricia ist nicht da.
    Ich stelle mich an die Haltestelle zu den anderen Fahrgästen, die sich vor dem Bus von ihren Familien verabschieden. Ein Kofferträger schiebt eine alte Kiste in den Bauch des Busses. Er trägt ein Stirnband mit dem Regenbogen drauf.
    Patricia wird doch keinen Rückzieher gemacht haben. Für ein Mädchen ist der Entschluss zur körperlichen Liebe quasi eine griechische Tragödie. Na ja, zumindest eine Fernsehsoap. Man schärft ihnen zu Hause und in der Schule ständig ein, vorsichtig zu sein, und so gehen sie dann durchs Leben.
    Sie haben ja auch recht. Bei ihnen hinterlässt die Liebe Spuren. Auch Narben. Umso erstaunlicher, dass Patricia Bettini sich zu diesem Ausflug mit mir entschlossen hat. In zwei Monaten sind wir mit der Schule fertig. Und danach muss Pinochet freie Wahlen ansetzen. Was dauern wird. Ich schätze, ein Jahr. Sie sagte zu mir: »Ich will mit dir intim zusammen sein.«
    Aber nicht in Santiago.
    In Santiago sind die Schule, die Kirche, der arbeitslose Don Adrián, die Autos ohne Nummernschild vor dem Haus, das Tränengas, das Fehlen von Señor Paredes.
    Das müsse ich verstehen.
    Klar. Für mich hängt die Liebe zwar nicht von der Geografie ab. Und obwohl ich das Gegenteil von romantisch bin, bin auch ich nicht gern von Gebäuden und Fernsehantennen umgeben.
    Ich habe Lust auf Meer.
    Auf Meer und Liebe. Valparaíso.
    Trotzdem ist mein Ort das Zentrum von Santiago. Es freut mich bis heute, dass sie die alte Kirche aus der Kolonialzeit doch nicht abgerissen und die Städteplaner ihre Prachtstraße Alameda schließlich um sie herumgebaut haben.
    »So muss man eine Dame behandeln«,
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