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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition)
Autoren: Antonio Skármeta
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meinem Haus haben uns gesehen.«
    »Dennoch.«
    Als die Hymne zu Ende ist, applaudieren beide. Jetzt tritt der Rektor ans Pult, um seine Begrüßungsrede zu halten.
    »Und bei Ihnen, Herr Minister?«
    »Wir bekommen die Demokratie. Mir schwebt ein Posten vor, bei dem ich meinen Sinn für die Gemeinschaft einbringen kann.«
    »Senator?«
    »Zum Beispiel. Ich bin sehr gut im Voranbringen von Projekten, Gesetzen und so weiter. Welcher dieser Jungen dort oben ist Ihr Schwiegersohn ?«
    »Der junge Herr dort links mit der grün-blauen Krawatte.«
    »Ja, ich sehe ihn. Was will er studieren?«
    »Wenn es zum Schauspieler nicht reicht, will er schreiben. Und Ihr Enkel?«
    »Ingenieurswesen. Genau wie sein Vater. Wissen Sie, dass mein Sohn Basti bei der Abstimmung mit ›Nein‹ gestimmt hat?«
    »Ihr eigener Sohn?«
    Dr. Fernández trommelt sich vergnügt mit den Fäusten auf die Knie.
    »Mein eigener Sohn. Die Demokratie ist etwas Wunderbares, finden Sie nicht?«
    »Obwohl sie ›eine Überbewertung der Statistik‹ ist?«
    »Trotzdem. Sie ist etwas so Reizendes. Sehen Sie doch nur: Hier sitzen wir beide, strahlend vor Glück, und applaudieren gemeinsam der Zukunft unseres Landes. Ich meinem fein gemachten Enkel und Sie dem jungen Santos. Und übrigens, ich kann es kaum glauben, dass uns ein so dämlicher Walzer besiegt hat.«
    »Ein dämlicher Walzer, Herr Minister?«
    »Ein unsäglich dämlicher Walzer, Bettini! Das muss man doch sagen dürfen!«
    »Kennen Sie die französische Zeitschrift Actuel , Dr. Fernández?«
    »Ich? Je ne parle pas français .«
    »In der letzten Ausgabe sind alle Lieder aufgelistet, die in den letzten fünfzig Jahren den Lauf der Geschichte verändert haben.«
    »Sagen Sie bloß, Ihr dämlicher Nein-Walzer ist auch dabei!«
    »So ist es, er ist das Lied des Jahres 1988, Herr Minister.«
    »Und wer stand in früheren Jahren auf Platz eins?«
    »Jim Morrison, The Beatles, The Rolling Stones.«
    »Und was komponieren Sie als Nächstes?«
    »Die Zeit der Lieder ist vorbei, Herr Minister. Der nächste Schritt wird sein, mit Olwyn die Wahlen zu gewinnen und Pinochet ins Gefängnis zu stecken.«
    Fernández lacht so laut auf, dass die Leute um ihn herum aufmerken und selbst der Rektor ihm einen rügenden Blick zuwirft.
    »Oh. Ich mache mich wohl unbeliebt. Pinochet ins Gefängnis stecken?», flüstert er. »Das wird Ihnen nicht gelingen, Bettini.«
    »Und ob, Dr. Fernández.«
    »Nein, nein und noch mal nein. ›Nein sagen kommt gut …‹«
    »Ja, ja und noch mal ja. Wir werden das durchziehen.«
    »Nein, nein, nein. Unserem General wird niemand auch nur ein Haar krümmen.«
    Nico Santos ist an der Reihe, sein Reifezeugnis in Empfang zu nehmen. Patricia Bettini steht auf und applaudiert, sodass die Leute um sie herum Gelegenheit bekommen, ihr Armani-Kleid zu bewundern. Adrián Bettini steht ebenfalls auf und ruft »bravo!«, und Señor Santos kratzt sich am Kopf, zwischen den Lippen eine unangezündete Zigarette.
    Der Exminister steht auch auf und applaudiert Nico.
    »Wir holen uns die Macht zurück«, flüstert er dem neben ihm stehenden Bettini ins Ohr. »Diesmal eben langsam, Schritt für Schritt, Stimme für Stimme.«
    »Das sind die kuriosen Seiten der Demokratie. Was wir mit Blut, Schweiß und Tränen erkämpft haben, bekommen Sie einfach in den Schoß gelegt. Eines Tages wird die Überbewertung der Statistik Ihnen in die Hände spielen. Das sind die Regeln des Spiels. Glückwunsch, Herr Minister. Einzige Bedingung, Sie bringen nicht weiter Leute um.«
    »Das gehört der Vergangenheit an. Das ist nicht mehr nötig. Erinnern Sie sich, als das Volk die starke Hand der Armee gefordert hat? Als es lautstark nach Pinochet gerufen hat?«
    »Waren Sie auch auf diesem Gymnasium, Dr. Fernández?«
    »Ich bin stolz darauf. Ich gehöre dem Vorstand der Alumni an.«
    »Wen hatten Sie als Spanischlehrer?«
    »Don Clemente Canales Toro.«
    »Dann haben Sie bei ihm sicher Arcipreste de Hita gelesen.«
    »Kommt mir bekannt vor.«
    »Ein Autor aus dem Mittelalter. Erinnern Sie sich nicht? Don Canales hat dessen Libro de buen amor in modernes Spanisch übertragen.«
    »Ja, richtig. Sehr unterhaltsam. ›Das Lob der kleinen Frau‹, nicht wahr?«
    »Bravo. Und erinnern Sie sich zufällig auch an die Fabel der Frösche, die unzufrieden sind und Jupiter auffordern, ihnen einen neuen König zu schicken?«
    »Bedaure.«
    »Jupiter schickt ihnen als König einen Storch, der die Frösche einen nach dem anderen mit seinem
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