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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition)
Autoren: Antonio Skármeta
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ist zur Abschlussfeier heute eingeladen. Bettini hat nach dem triumphalen Erfolg seiner Wahlkampagne bereits Kunden gewonnen. Die Vertretung einer französischen Automarke hat ihn unter Vertrag genommen. Sogar Le Monde hat sich vor seinem Genie verbeugt. Er hat seiner Tochter ein Kleid von Armani aus feinstem Seidengeorgette gekauft, mit geschlitztem Rock und verziert mit kleinen Glasperlen.
    So viel Geld hat er nicht, aber für solche Fälle hat der gewitzte Pinochet die Kreditkarte eingeführt: die einzige Methode, das Unerschwingliche doch zu bekommen. Nach uns die Sintflut.
    Allerdings hat Adrián seiner Tochter eine Bedingung gestellt, der sich das Mädchen voller Bescheidenheit fügte: Wenn in drei Tagen ihre Abschlussfeier in der Scuola Italiana stattfinden würde, müsse sie dasselbe Kleid tragen. Dass sie ihm ja keine Filmschauspielerinnenallüren entwickle und alle zwei Stunden ihre Luxuskleider wechseln wolle.
    Neben der Tür zur Schulaula hängt ein Kranz aus weißen Rosen, Blattgrün und ein paar roten Nelken. Darüber ist mit Klebefilm eine schwarze Pappe befestigt, darauf in Gelb der Satz: »Wir werden unsere Märtyrer nie vergessen.«
    Fünf Namen stehen darunter: die zweier Schüler und dreier Lehrer. Einer von ihnen ist Rafael Paredes.
    Die zu der Veranstaltung strömenden Leute übersehen das Plakat geflissentlich. Seit dem Sieg von »Nein« hat Leutnant Bruna es für besser gehalten, sich nicht mehr in der Schule blicken zu lassen. Er hat Soldaten in einem Jeep geschickt, die seine Sachen geholt haben.
    Der Schulchor stimmt die Hymne an. Die meisten Schüler und Erwachsenen stehen zum Singen auf: »Schallen soll, ihr Schüler, die Hymne des Instituts, das Lied der größten Schule im ganzen Land.«
    Nico Santos ist einer von fünfundfünfzig Schülern, die die Schule verlassen. Der Rektor wird jedem Einzelnen sein Zeugnis überreichen, das Publikum wird fünfundfünfzig Mal applaudieren, und der Rektor wird sich mit jedem der fünfundfünfzig Schüler ablichten lassen. Die Fotografen werden anschließend die Abzüge an die Familien verkaufen.
    In ihren Anzügen und Krawatten sehen die Jungen ungewohnt aus. Nur ihre Haare sind nicht ganz so korrekt. Viele fassen sich an den Hals, einige haben den Krawattenknoten schon gelockert. Über Nico Santos und Che in der zweiten Reihe könnte man meinen, sie würden ein Fußballspiel kommentieren.
    Señor Santos und seine besonderen Gäste, Adrián, Magdalena und Patricia Bettini, haben sich in die dritte Reihe gesetzt. Am Rand hängt ein Schild, auf dem steht: »Lehrkörper«.
    Señor Santos ist ein Lehrkörper.
    Señor Paredes war ein Lehrkörper.
    In der zweiten Reihe ist ein Platz frei geblieben, auf der Lehne steht: »Señora María, Witwe Paredes«.
    »Der Schule hat das glückliche Los, erstes Licht der Nation zu sein«, singt Señor Santos und lässt dabei Nico nicht aus dem Blick, der sich mit dem Handrücken den Schweiß abwischt. Auf dieser Bühne ist er vor wenigen Wochen, noch Jungfrau, in der Höhle von Salamanca aufgetreten.
    Bettini kennt den Text der Hymne nicht. Außerdem wird er abgelenkt von diesem Mann, der an den Sitzenden vorbei auf ihn zusteuert und ihm signalisiert, er möge ein Stück rutschen, damit er neben ihm Platz nehmen kann. Er lässt sich mit einem zufriedenen Seufzer nieder und reicht Bettini die Hand, ohne ihn anzusehen.
    Es ist niemand anderes als Minister Fernández.
    »Wie geht’s, Bettini?«, fragt er und zupft seine Hosenbeine zurecht.
    »Herr Minister, was machen Sie hier?«
    Der Mann zeigt auf einen dunkelhäutigen Jungen mit markanten Wangenknochen, der ihm vom Podium zuwinkt.
    Fernández winkt liebevoll und dezent zurück.
    »Mein Enkel, Luis Federico Fernández, hat seinen Abschluss gemacht. Unser Hoffnungsträger. Er will Ingenieur werden. Und Sie? Was machen Sie hier?«
    Bettini weiß nicht, was er antworten soll. Er stammelt: »Mein Schwiegersohn, also …«
    »Schon verstanden, der Freund Ihrer Tochter … Nicolás Santos.«
    »Nico Santos. Woher wissen Sie seinen Namen?«
    »Erinnern Sie sich nicht, Bettini? Der Philosophielehrer: Rodrigo Santos. Ist alles gutgegangen?«
    »Zum Glück, Herr Minister.«
    »Exminister, vergessen Sie das nicht! Und sonst?«
    »Alles bestens. Ich bin am Leben. Das habe ich vermutlich Ihnen zu verdanken.«
    »Aber, aber! Immer müssen Sie übertreiben!«
    »Ich habe Ihre Leute zum Teufel gejagt.«
    »Mutig von Ihnen!«
    »Nicht allzu sehr, Dr. Fernández. Die Bauarbeiter vor
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