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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition)
Autoren: Antonio Skármeta
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Möglichen, das gibt es nicht.
    Nach Papa kommt es auf die Ethik an: was wir aus unserem Sein machen.

ZWEI
    A m Donnerstagnachmittag erhielt Adrián Bettini einen Brief. Nicht der Briefträger des Viertels brachte ihn, sondern zwei junge Beamte mit Polizeiabzeichen an der Brust, die einmal kurz klingelten und der Hausangestellten lächelnd erklärten, dass sie den Brief dem Hausherrn persönlich zu übergeben hätten. Der junge Nico Santos, der zufällig gerade zum Tee da war, beobachtete die Szene vom Esszimmer aus und wechselte mit Patricia Bettini einen langen Blick, als ihr Vater in seiner ausgeleierten Strickjacke zur Tür trottete.
    Nachdem er zur Bestätigung des Erhalts Unterschrift und Ausweisnummer in ein Heft eingetragen hatte, das die jungen Männer ihm gelangweilt hinhielten, riss er den Umschlag auf und studierte das Schreiben.
    Als sähe er seiner Tochter und Nico an, dass sie ihn gleich nach dessen Inhalt fragen würden, sagte er ihnen, es handle sich um eine Einbestellung des Innenministeriums, er habe sich am folgenden Tag um zehn im Regierungspalast von General Pinochet einzufinden.
    Patricia Bettini zuckte zusammen. Ihr Vater war schon zweimal im Gefängnis gewesen, einmal hatten unerkannte Täter ihn gekidnappt und bewusstlos geschlagen.
    Adrián Bettini bat seine Frau Magdalena an den Tisch zum Tee, und nachdem er lange mit dem Löffel in der Tasse gerührt hatte, gestand er, dass er sich unsicher sei, ob er der Aufforderung des Diktators Folge leisten oder auf der Stelle seinen Koffer packen und für ein paar Tage bei Freunden unterschlüpfen sollte.
    Patricia Bettina riet ihm, sich zu verstecken.
    Seine Frau riet ihm hinzugehen. Es sei besser, sich den Dingen zu stellen, als sich zu verkriechen.
    Nico Santos tat sich einen Klecks Avocadocreme auf sein geröstetes Brot und verstrich ihn mit dem Messer. Es war so still, dass ihm das Schaben des Messers übers Brot in den Ohren wehtat.

DREI
    U nd dann am Mittwoch darauf das: Wir waren gerade beim Höhlengleichnis, da platzten zwei akkurat aussehende Männer ins Klassenzimmer und forderten Papa auf mitzukommen.
    Mein Vater blickte zu seinem Mantel, den er über einen Stuhl gelegt hatte, und einer der Männer sagte zu ihm, er solle ihn mitnehmen. Mein Vater nahm den Mantel, mich sah er nicht an.
    Das heißt, er sah mich an, indem er mich nicht ansah.
    Und das war unangenehm, denn als die beiden Männer meinen Vater mitnahmen, hatten alle Jungen meiner Klasse ihre Blicke auf mich gerichtet.
    Sicher dachten sie, ich habe Angst. Oder sie fanden, ich hätte mich auf die Männer stürzen und verhindern müssen, dass sie meinen Vater mitnehmen.
    Aber Señor Santos und ich hatten diese Situation vorausgesehen.
    Wir hatten dafür sogar einen Oberbegriff. Die Situation lief bei uns unter dem Namen »Barock«: Wenn sie meinen Vater vor Augenzeugen festnehmen würden, könnten sie ihn nicht verschwinden lassen wie so viele andere, die sie in mit Steinen beschwerte Säcke stecken und von einem Hubschrauber ins Meer werfen. Wir sind fünfunddreißig Schüler in der Klasse, und wir alle haben mit eigenen Augen gesehen, wie sie meinen Vater mitgenommen haben. Wenn es so laufen würde, so Papa, wäre es das Beste, denn dann würden sie ihn ganz gewiss nicht umbringen. Die Zeugen würden ihn schützen.
    Nach dem Plan »Barock« hatte ich, wenn sie meinen Vater festnehmen würden, zwei Telefonanrufe zu machen, die Nummern wusste ich auswendig, die Namen kannte ich aber nicht. Danach sollte ich mein Leben ganz normal weiterleben, nach Hause gehen, Fußball spielen, mit Patricia Bettini ins Kino gehen, nicht im Unterricht fehlen, und am Monatsende sollte ich bei der Zahlstelle den Gehaltsscheck abholen.
    Also malte ich, als sie Señor Santos abholten, Kreise in mein Heft und spürte währenddessen, wie das Schweigen sich um mich herumsponn wie ein immer größer werdendes Spinnennetz. Sicher dachten meine Klassenkameraden, ich sei ein Feigling, und dass ich sofort hätte aufspringen und meinen Vater verteidigen müssen.
    Aber Papa hat immer wieder beteuert, dass er vor nichts Angst hat, außer dass mir etwas zustoßen könnte.
    Und uns allen ist der siebzehnjährige Junge im Kopf, der vor Monaten verschwunden und nicht wiederaufgetaucht ist.
    Ich muss ihre Blicke ertragen, denn ich kann meinen Klassenkameraden nicht erklären, dass ich mich nach dem Plan »Barock« verhalte.
    Wenn sie meinen Vater ohne Zeugen hätten verschwinden lassen, müsste ich mich an den Plan
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