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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition)
Autoren: Antonio Skármeta
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Magdalena hatte sich angewöhnt, jedes Mal, wenn sie etwas Wichtiges zu sagen hatte, scharf zu bremsen. Er wusste gerade nicht, was ihn mehr verrückt machte. Ob ihre Worte oder das Hupen.

NEUN
    E s ist Montag. Der Himmel ist verhangen mit schweren dunklen Wolken, aber es regnet nicht. Die Stadt ist anstrengend, und die Leute eilen mit eingezogenen Köpfen durch die Straßen. Ich habe letzte Nacht schlecht geschlafen und muss auf dem Schulweg unentwegt gähnen. In der ersten Stunde haben wir Geschichte, in der zweiten Philosophie.
    Ich werde den Kopf aufs Pult legen und eine Runde dösen. Als ich am Schultor ankomme, denke ich an Papa, ich frage mich, ob er auch Tabak hat und ob sie ihn rauchen lassen. Mein Blick fällt auf eine weggeworfene Zigarettenkippe, und ich trete sie aus.
    Zur Philosophiestunde gehen wir in die Klasse, ohne uns vorher im Gang aufzustellen. Ein paar meiner Klassenkameraden geben mir einen Klaps auf die Schulter. Ich wickle mir den blauen Schal um den Hals, gegen die Eiseskälte. Um mich nicht mit meinem Pultnachbarn unterhalten zu müssen, nehme ich meinen metallenen Spitzer aus dem Federmäppchen und spitze einen Bleistift.
    Da kommt auch schon der Philosophielehrer herein.
    Es ist nicht Señor Santos. Sondern ein junger Mann mit dichten Augenbrauen und spitzer Nase, John-Lennon-Brille und hellblauem Jackett. Er ist spindeldünn, und wie um uns zu zeigen, dass er dennoch stark ist, knallt er das Klassenbuch aufs Pult. Er schlägt es auf, räuspert sich und geht die Liste durch.
    Nach jedem Namen, den er aufgerufen, und jedem »hier«, das er vernommen hat, schaut er auf und nickt, so als würde er die Schüler längst kennen. Als er »Santos« aufruft, stehe ich wie alle anderen auf, aber anstatt zu nicken, starrt er weiter ins Klassenbuch. Nummer 32, Tironi, sieht er wieder an, danach 33, Vásquez, 34, Wacquez, und 35, Zabaleta.
    Er nimmt ein Stück Kreide aus der Ablage an der Tafel, wirft sie in die Luft und fängt sie ohne hinzusehen wieder auf. Das Kunststückchen macht ihn jünger. Dann sagt er: »Ich heiße Javier Valdivieso. Wie der Champagner Valdivieso. Aus den Notizen von Señor Santos habe ich entnommen, dass Sie die Vorsokratiker und Platon bereits durchgenommen haben. Sodass wir heute mit Aristoteles beginnen. Schreiben Sie mit: ›Keine der Tugenden besteht in uns von Natur aus, wiederum ist alles Natürliche nicht durch Übung zu verändern. Zum Beispiel ist es natürlich und unabänderlich, dass ein Stein hinunterfällt, wenn wir ihn loslassen. Man kann dem Stein nicht beibringen, sich nach oben zu bewegen; und wenn man ihn zehntausend Mal nach oben wirft, er wird zehntausend Mal herunterfallen.‹«
    »›Die Tugenden dagegen sind nicht naturgegeben, aber auch nicht wider die Natur, nein, dem Menschen ist von der Natur die Fähigkeit gegeben, Tugenden zu erlernen. Wir üben Gerechtigkeit aus und werden darüber gerecht, und unser Verhalten in Gefahr, ob wir uns als mutig erweisen oder als feige, hängt davon ab, was wir uns angewöhnt haben, ob Mut oder Angst.‹«
    »Am Mittwoch schreiben wir eine Klassenarbeit über Platon und das Höhlengleichnis«, sagt er.

ZEHN
    N och bevor er den Schlüssel ins Schloss stecken konnte, machte Magdalena ihm auf. Sie drückte ihm einen festen Kuss auf die Wange und deutete mit einem Nicken ins Wohnzimmer.
    Dort saß der Oppositionsführer Don Patricio und grinste ihn an wie Jack Nicholson.
    »Kaffee, Herr Senator?«
    »Danke.«
    »Zucker, Herr Senator?«
    »Es ist gut so. Und bitte, nennen Sie mich nicht Senator. Diese Schurken haben das Parlament geschlossen, da macht mich das nur wehmütig.«
    »Was führt Sie hierher, Don Patricio?«
    »Eine große Sache, geradezu spektakulär.«
    »Ich bin gespannt.«
    »Pinochet scheint bereit, der Opposition vor dem Plebiszit am 5. Oktober einen fünfzehnminütigen Fernsehspot zu genehmigen.«
    »Wirklich unglaublich.«
    »In dreißig Tagen findet die Abstimmung statt, und wir sollen nächste Woche senden.«
    »Das ist kaum Zeit.«
    Bettini fasste sich an die Brusttasche, um sich eine Zigarette zu nehmen, aber dann erschien es ihm respektlos, vor einer so hochgestellten Persönlichkeit zu rauchen. Er behielt das Päckchen in der Hand und strich über die Zellophanhülle.
    »Das ist die Strategie des Diktators. Blitzschnell zuschlagen, bevor der Feind sich überhaupt aufstellen kann.«
    Er stand auf, um seinen Worten noch mehr Bedeutung zu verleihen.
    »Mein lieber Bettini, ich komme im Namen der
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