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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition)
Autoren: Antonio Skármeta
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könnte.«
    Don Patricio klopfte ihm noch einmal freundlich auf die Schulter, zog die Augenbrauen hoch und lächelte.
    »Das scheint mir eine gute Voraussetzung zu sein. Machen Sie es?«
    Über Don Patricios Schulter hinweg erblickte Bettini seine Frau, die durch den Türspalt zustimmend den Daumen hochhielt.
    »Herr Senator, ich weiß jetzt die chilenische Entsprechung für das japanische Wort Harakiri: Ja!«
    Der Politiker umarmte ihn, setzte sich den Hut auf und verabschiedete sich rasch, bevor Bettini es sich noch anders überlegen würde.
    Durchs Fenster sah er den Politiker ins Auto steigen und beobachtete, wie hinter ihm ein anderes Auto losfuhr.
    Er beschloss, sich nicht verunsichern zu lassen. Solange er nicht öffentlich mit seiner Kampagne auftrat, würde er nicht den Unwillen des Innenministers erregen. Und was Don Patricios Sicherheit anging, dürfte er wenigstens bis zum Plebiszit außer Gefahr sein. Wenn Pinochet sich neuerdings als Demokrat legitimieren wollte, konnte er nicht den Oppositionsführer umbringen lassen. Magdalenas Argument war überzeugend. Allerdings nur für ein nach rationalen Gesetzen funktionierendes Land und nicht für eines, in dem Willkür herrschte.
    Jetzt gönnte er sich seine Zigarette und setzte sich damit ans Klavier. Ihm fiel kein Song ein, mit dem er das »Nein« bewerben könnte, aber seine Finger entlockten den Tasten einen schrägen Zirkusrhythmus. Einem traurigen Clown ähnlich kamen ihm die folgenden Verse:
In der Werbung bin ich Supermann.
Einen Tag hier, den anderen dort.
Die Nacht im Knast, am Morgen klamm.
Heute lach’ ich mich tot, morgen schafft man mich fort.
In der Werbung bin ich Supermann.
Stecke Kritik ein, wenn’s nicht zündet,
und wenn’s einschlägt, selbst dann.
Alle prügeln mich und behaupten, sie hätten mich
gern.
    Magdalena kam ins Zimmer und lehnte sich an den Flügel.
    »Und?«
    Adrián wischte die Asche weg, die ihm aufs Revers gefallen war, zog tief an der Zigarette und schloss den Deckel.
    »David gegen Goliath«, sagte er.

ELF
    N ach Schulschluss bleibe ich an der Ecke stehen, ich habe keine Lust, nach Hause zu gehen. Ohne Papa fehlt mir der Antrieb. Ich mache nach dem Abendessen den Abwasch nicht, und das schmutzige Geschirr stapelt sich in der Küche.
    Ich rufe mir noch einmal die Telefonnummer des Mannes in Erinnerung, der mit dem Ordensbruder reden will. Vielleicht weiß er schon etwas. Doch ich sollte ihn nicht von zu Hause aus anrufen. Irgendwann wird die Telefonzelle gegenüber der Bushaltestelle schon frei werden.
    Während ich warte, rubble ich die Hundertpesomünze zwischen den Fingern, bis das Metall warm wird.
    Herr Valdivieso kommt auf mich zu.
    »Wie wär’s mit einem Kaffee, Santos?«
    »Wozu?«
    »Gegen die Kälte zum Beispiel.«
    Wir gehen in die Konditorei Indianápolis und lehnen uns an den Tresen, von wo aus wir der Bedienung in ihrem kneifenden Minirock auf den Hintern gucken können. Als der dampfende Kaffee kommt, legt der Lehrer zum Wärmen die Hände an die Tasse, und ich schütte eine Ladung Zucker hinein, für die Patricia Bettini mir eine Standpauke halten würde.
    »Santos«, sagt er dann, »das ist für mich keine angenehme Situation. Es ist nicht meine Schuld, dass ich jetzt die Stunden gebe, die vorher Ihr Vater unterrichtet hat.«
    »Es ist auch nicht die Schuld meines Vaters.«
    »Ich habe die Stelle nicht angenommen, um es Ihrem Vater noch schwieriger zu machen, sondern weil das Leben weitergehen muss. Die Erziehung unserer Jugend darf nicht leiden, was auch immer passiert.«
    »Die ethische Erziehung«, sage ich.
    »Die politische Einstellung Ihres Vaters geht mich nichts an.«
    »Viel gibt es da auch nicht zu sagen. Er will nur eines, gegen Pinochet kämpfen.«
    »Sehen Sie, es geht nicht, dass Ihr Vater die gegenwärtige politische Situation mit Platons Philosophie vermengt; Platon hat vor über zweitausend Jahren gelebt.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Herr Valdivieso.«
    Er nimmt einen Schluck von seinem Kaffee und wischt sich den Milchschaum mit dem Ärmel von den Lippen. Ich beobachte, dass der Telefonapparat im Lokal frei geworden ist, und taste in meiner Tasche nach der Münze.
    Er zieht ein gefaltetes Blatt aus seinem Jackett und breitet es auf dem Tresen aus. Es ist ein mit Hand geschriebener Text. Vertrauensvoll beugt er sich zu mir herüber und liest ihn mir vor: »›Anders gesagt, wir Chilenen in der Diktatur Pinochets sind die Gefangenen in der Höhle Platons. Geblendet von einem
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