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Titel: Hardware
Autoren: Walter Jon Williams
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*1*
     
     Um Mitternacht weiß er, daß seine Unzufriedenheit ihn nicht schlafen lassen wird. Der Panzerboy fährt von Santa Fe nach Norden, auf der Hauptstraße durch Truchas über den Sangre de Cristos, Richtung Colorado. Er will dem Nachthimmel so nahe wie möglich kommen. Er fährt, ohne dabei Hände und Füße zu benutzen; sein Geist lebt im kühlen neuralen Interface irgendwo zwischen den raschen Bildern, die vor der Windschutzscheibe vorbeiziehen, und dem elektrischen Bewußtsein, das die metallene Karosserie und das Flüssigkristallherz des Maserati ist. Seine künstlichen Augen aus Plastik und Stahl starren auf die Straße, ohne zu blinzeln, auf die gewundenen, vom abfließenden Schmelzwasser des Frühlings gefurchten Feldwege, die hoch aufragenden Baumgruppen aus Pinien und Espen, die von reglosen schwarzen Rindern gesprenkelten Bergwiesen. All das zeichnet sich in den dahinjagenden, fast flüssigen Kegeln des Fernlichts ab, während er den Maserati bergauf treibt. Die im Scheinwerferlicht aufleuchtenden Formen treten gegen die Dunkelheit ihrer eigenen Schatten deutlich hervor, und Cowboy kann sich fast in einer monochromen Welt sehen, als ob vor seiner Windschutzscheibe ein Schwarzweißfilm abliefe, der so schnell vorüberhuscht, wie er fährt. Es ist beinahe wie Fliegen.
     Als er seine neuen Kikuyu-Augen bekam, hatte er vorgehabt, eine Monochrom-Option zu verlangen; ihm hatte der Gedanke gefallen, einen mentalen Schalter im Kopf umzulegen und schnurstracks in die Handlung einer Schwarzweiß-Phantasie einzutauchen, eines alten Films mit Leuten wie Gary Cooper oder Duke Wayne, aber die Nachfrage nach Monochrom war nur gering gewesen, und die Option war nicht mehr im Angebot. Er hatte auch eine Iris aus Chromstahl haben wollen, aber der Dodger, sein Manager, hatte ihm das ausgeredet; er behauptete, für einen Mann in Cowboys Geschäft wäre das zu auffällig. Cowboy hatte widerwillig zugestimmt, wie immer, wenn der Dodger seiner Phantasie eine neue Einschränkung auferlegte. Statt dessen hatte er Pupillen in Sturm wolkengrau genommen.
     Aber hier in diesen nach dem Blut Christi benannten Bergen gibt es Phantasien, die älter sind als alle auf Zelluloid. Sie ziehen in einer Montage vor seinen Stahl-und-Plastik-Augen vorbei: eine alte, weiß getünchte Kirche, die Flächen um die Türen herum wie ein türkisfarbener Himmel bemalt, was sich mit den Rot- und Gelbtönen beißt, die eine Pyramide und ein allessehendes Auge an der abgerundeten höchsten Stelle des Bogens ergeben; ein massives weißes Kastell im marokkanischen Stil, das Spielzeughaus eines längst verstorbenen Arabers, mit braun gestreiften, zerbröckelnden Minaretten und einem von ersten Rostspuren angegriffenen eisernen Rokoko-Gitterwerk. Hinter einer Kurve tauchen plötzlich wie Figuren einer übernatürlichen Warnung zwei fahle Gespenster auf, indianische Pilger ganz in Weiß, von dem weißen Tuch, das sich um ihre Stirnen spannt und in ihre langen Haare geflochten ist, bis zu den weißen Rehleder-Mokassins, an denen silberne Knöpfe blinken. Als Buße laufen sie im Mondlicht geduldig zur heiligen Stätte in Chimayo, um dort dem geschnitzten _Santos_ zu danken oder die Jungfrau um eine Gunst zu bitten. Visionen wie Außenposten einer anderen Zeit, die hier am hohen Rand der Erde bewahrt geblieben sind und plötzlich hell vor Cowboys Augen aufschimmern.
     Cowboy jagt den Motor bis zur Leistungsgrenze hoch. Die Anzeigen auf dem Armaturenbrett klettern in den roten Bereich. Bei Nacht fliegen ist das, was er am besten kann. Das Heulen des Triebwerks hallt von den Bäumen und Hügeln wider. Windstöße fahren durch die offenen Fenster und tragen den scharfen Geruch von Pinien herein. Cowboy stellt sich vor, wie das Zelluloid durch den Projektor rast, immer schneller, bis die Bilder verschwimmen. Neuronen schicken ihre Botschaften in Impulsen zu dem Kristall in seinem Kopf, übertragen seinen Willen zum Gaspedal, der Gangschaltung und den rüttelnden Rädern. Jetzt rast der Maserati bergab, wird schneller, als er über die Zickzackstraße jagt, und braust schließlich bei der Furt vor Penasco über das Wasser. Eine Gischtwand schießt auf, die für einen kurzen Moment das Scheinwerferlicht in Regenbogen reflektiert, ein halluzinatorischer Schimmer am Rand des Sichtfelds, eine Vorahnung von Farbe in dieser monochromen Welt.
     In der Dämmerung zischt der Maserati über die Grenze von Colorado, und am frühen Morgen erreicht die bronzene
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