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Titel: Hardware
Autoren: Walter Jon Williams
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Blue Silk. Sarah hatte vertragsgemäß Wiesel eingesetzt, aber der Botenjunge - ein Laufbursche, dessen Gier seine Schlauheit bei weitem überstieg - war selber umgerüstet gewesen; sie hatte einige Blutergüsse auszukurieren. Glücklicherweise hat sie die Waren wiederbekommen, und da sie für die Drittmänner gearbeitet hatte, war sie mit Endorphinen bezahlt worden; das war praktisch, weil sie ein paar davon selbst brauchte.
     Hinten an ihrem Oberschenkel hat sie eine Knochenquetschung, und sie kann nicht sitzen; statt dessen lehnt sie mit dem Rücken an der gepolsterten Bar und schlürft ihren Rum mit Limonensaft. Das Audiosystem der Blue Silk spielt Inselmusik und beruhigt ihre vibrierenden Nerven.
     Das Blue Silk wird von einem Ex-Kutterjock namens Maurice geführt. Er ist ein Westindier mit Zeissaugen vom alten Typ, der im Steinbrocken-Krieg auf der Verliererseite gekämpft hat. Er hat Buchsen für Chips an den Knöcheln und den Handgelenken, wie sie beim Militär damals üblich waren. An den Wänden sind Bilder von seinen Freunden und Helden, alle mit dem azurblauen Seidenhalstuch des Raumabwehr-Elitekorps, meistens umrahmt von schwarzem Trauerflor, der mit den langen Jahren purpurn wird.
     Sarah fragt sich, was er mit diesen Augen gesehen hat. War die plötzlich einsetzende Röntgenstrahlung dabeigewesen, die den zehntausend Tonnen wiegenden Steinbrocken vorauseilte, welche von den Orbitalen Massetreibern abgeschossen wurden, durch die Atmosphäre sausten und auf den Städten der Erde zerbarsten? Die künstlichen Meteore, von denen jeder die Sprengwirkung einer Atombombe hatte, waren zuerst in der östlichen Hemisphäre herabgekommen, über Mombasa und Kalkutta, und als der Planet sich weitergedreht hatte und die westliche Hemisphäre zu einem Ziel geworden war, hatte sich die Erde ergeben - aber die Orbitalblöcke hatten das Gefühl, daß sie ihren Standpunkt im Westen noch nicht nachdrücklich klargemacht hatten, und so fielen die Steinbrocken trotzdem. Ein Versagen der Kommunikationswege, behaupteten sie. Die Milliarden auf der Erde wußten es besser.
     Sarah war damals zehn gewesen. Sie gab gerade ein Gastspiel in einem Besserungslager für Jugendliche in der Nähe von Stone Mountain, als drei Steinbrocken Atlanta ausradierten und ihre Mutter töteten. Ihr achtjähriger Bruder Daud war in dem Schutt eingeschlossen, aber die Nachbarn hörten seine Schreie und holten ihn heraus. Danach wurden Sarah und ihr Bruder von einer Umsiedler-Agentur zur nächsten geschickt und landeten schließlich in Tampa bei ihrem Vater, von dem sie nichts mehr gesehen oder gehört hatte, seit sie drei gewesen war. Die Sozialarbeiterin hielt sie die ganze Zeit an der Hand, während sie die verfallenden Treppen des Mehrfamilienhauses hinaufgingen, und Sarah hielt Dauds Hand. Die Flure stanken nach Urin, und eine kaputte Puppe lag über den Treppenabsatz im zweiten Stock verstreut, in Stücke gerissen wie die Nationen der Erde, wie das Leben der Menschen hier. Als die Wohnungstür aufging, sah sie einen Mann in einem löchrigen Hemd mit Schweißflecken in den Achselhöhlen und wäßrigen Säuferaugen. Die Augen waren verständnislos von Sarah zu Daud und dann zu der Sozialarbeiterin geirrt, als sie ihm die Papiere vorlegte. Die Sozialarbeiterin sagte: "Das ist euer Vater. Er wird sich um euch kümmern." Es stellte sich heraus, daß das nur zur Hälfte gelogen war.
     Sie betrachtet die verblassenden Fotos in den staubigen Rahmen, die toten Männer und Frauen mit ihren metallischen Zeissaugen. Maurice betrachtet sie ebenfalls. Er ist in seinen Erinnerungen versunken, und es sieht aus, als versuchte er zu weinen; aber seine Augen sind mit Silikon geschmiert und seine Tränenkanäle sind natürlich verschwunden, zusammen mit seinen Träumen, mit den Träumen von fünf Milliarden Menschen, die gehofft hatten, die Orbitalen würden ihnen zu einem besseren Leben verhelfen, und die jetzt keine andere Hoffnung mehr haben als irgendwie hier herauszukommen, hinaus in das kalte, vollkommene Kobaltblau des Himmels.
     Sarah wünscht, sie selbst könnte weinen, um die schwarzgerahmte tote Hoffnung an den Wänden, um sich selbst und um Daud, um die Trümmer allen irdischen Strebens, sogar um den Botenjungen, der seine Chance gesehen hatte, allem zu entrinnen, aber nicht clever genug gewesen war, mit dem richtigen Zug aus dem Spiel auszusteigen, in das seine Hoffnungen ihn hineingetrieben hatten. Aber die Tränen sind längst verschwunden, und
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