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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition)
Autoren: Antonio Skármeta
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dümmlichen Fernsehprogramm, sehen wir nur Schattenbilder der Wirklichkeit, während die hellen Köpfe in dunkle Kerker gesperrt sind.‹«
    »Wo haben Sie das her?«
    »Das ist die Mitschrift eines Ihrer Klassenkameraden, Santos. Er hat sie dem Rektor zur Verfügung gestellt.«
    Ich rühre so heftig mit dem Löffel in der Tasse, dass der Kaffee auf den Teller schwappt. Hinter der Kasse ist ein kleiner Ständer mit Zigaretten. Unter den Marken ist auch der schwarze Tabak, den mein Vater raucht.
    Wenn ich wüsste, wo er ist, würde ich ihm ein Päckchen bringen.
    »Ich hoffe, Santos, Sie sind mir nicht böse, dass ich die Stelle Ihres Vaters übernommen habe.«
    »Nein, überhaupt nicht, Señor Valdivieso.«
    »Sie wissen doch, das ist die beste Schule Chiles, und als junger Lehrer hier angenommen zu werden ist ein wichtiger Karriereschritt und ein Grund, stolz zu sein.«
    »Machen Sie sich um mich keine Sorgen.«
    »Natürlich wäre ich lieber unter anderen Umständen hergekommen. Durch einen ersten Platz in einem fachlichen Wettbewerb zum Beispiel und nicht, weil der Herr Direktor mich geholt hat.«
    Ich hebe die Tasse an den Mund und puste. Der Kaffee ist noch immer zu heiß, und ich löffle den verschütteten Kaffee vom Unterteller zurück in die Tasse.
    »Wenn Sie es nicht gemacht hätten«, sage ich, »hätte ein anderer die Stelle angenommen.«
    »Das ist das Unschöne daran, Santos. Bevor ich die Stelle angetragen bekommen habe, hat man sie Señor Hughes und der Kollegin Ramírez angeboten. Warum lächeln Sie, junger Mann?«
    »Glückwunsch zu Ihrer Aristoteles-Stunde, Señor Valdivieso. Mein Vater ist ein großer Anhänger der Nikomachischen Ethik. Darum hat er mich Nico genannt. Nikomachos wäre etwas zu viel gewesen.«
    Der Mann nimmt sich die John-Lennon-Brille ab und reibt sich die Augen.
    »Auf jeden Fall«, sagt er, »werde ich versuchen, wiedergutzumachen, was ich Ihnen angetan habe.«
    »Lassen Sie nur. Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Mir geht es gut. Ich bin guter Dinge.«
    Aber als ich endlich telefoniere, geht es mir gar nicht gut, und ich bin alles andere als guter Dinge.
    Die Ordensbrüder wissen nicht, in welchen Kerker sie Señor Santos gesteckt haben.

ZWÖLF
    A m Nachmittag machte Adrián Bettini sich auf ins Stadtzentrum. Im dem grellen Nebeneinander von Bankangestellten, Verkäufern, Schalterbeamten, stark geschminkten Sekretärinnen, Mädchen in aufreizenden Miniröcken meinte er die Gewalt zu spüren, die diese Gemeinschaft zerstört hatte.
    Am Abend kehrte jeder in sein Viertel zurück, ob in eine Reichensiedlung, eine Wohngegend der Mittelklasse oder eine armselige Ansammlung von Blechhütten. Die scharfe Trennung zwischen den Gesellschaftsschichten war hier im Stadtzentrum aufgehoben. Und sie alle kannten nur eine abendliche Vergnügung: fernzusehen. Und im Fernsehen würden, wenn der Diktator es sich nicht noch anders überlegte, in Kürze seine fünfzehn Minuten gesendet werden, die sie alle, die große Masse an Verlierern in ihren zerschlissenen Mänteln und Schals, dazu bewegen sollten, gegen Pinochet zu stimmen. An der Art, wie sie schweigend im Café Haití ihren Espresso tranken und teilnahmslos den Bedienungen nachblickten, war der Schweregrad ihrer Apathie abzulesen.
    Auf der Titelseite der Tageszeitung La Segunda stand in großen Lettern: »Plebiszit am 5. Oktober«. Rot prangten die Buchstaben unter dem grünen Namenszug des Blattes. Trotzdem kaufte außer ihm niemand die Zeitung. Und dann blieb sein Blick noch an einer weiteren fett gedruckten Überschrift hängen: »›Nein‹-Kampagne im Fernsehen genehmigt.«
    Früher hatte er in diesem Café Freunde aus der Werbebranche getroffen. Oder Journalisten. Inzwischen hatten die meisten von ihnen das Land verlassen, und seine Gesprächspartner aus alten Zeiten redeten nur noch über Fußball oder das Hin und Her innerhalb der politischen Führungsriege. Unter anderem sie waren die Zielgruppe seiner Kampagne. Undurchdringlich wirkten sie auf ihn, fast gesichtslos. Nicht Angst sprach aus ihnen, sondern Abgestumpftheit. Sie ließen sich bei ihrem Kaffee viel Zeit, nur um nicht ins Büro zurückzumüssen, zu ihren Bildschirmen mit irgendwelchen Zahlen, die ihnen egal waren. Egal. Das traf es. Ihr eigenes Leben kümmerte sie nicht mehr.
    Er kam spät nach Hause und fand auf seinem Schreibtisch eine Nachricht von Magdalena: »Wärm dir den Eintopf in der Mikrowelle auf«, daneben eine geschlossene Flasche Wein und ein
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