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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter
Autoren: Murat Topal
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Hadi, hadi, Häusle baue
     
     
    »Murat, ich bin wieder schwanger.«
    »…«
    »Murat?«
    Die Mitteilung, dass unser zweites Kind unterwegs war, verschlug mir die Sprache. Nicht, weil ich etwas gegen Kinder oder gegen ein zweites Kind im Speziellen hätte, auf keinen Fall. Aber mehr Familienmitglieder brauchen mehr Platz. Kein böses Wort über knapp vierzig Quadratmeter große Zweizimmerwohnungen. Zu dritt wird es dort jedoch schnell eng. Und zu viert könnte man ohne Komfortverlust genauso gut in die letzte Reihe eines Charterfliegers ziehen. Also war klar: Wir brauchten eine größere Wohnung.
    »Murat, kannst du bitte aufhören, immer nur über die Wohnung zu reden.«
    Ann-Marie, die normalerweise liebenswerteste Ehefrau von allen, war von meiner pragmatischen Herangehensweise schwer genervt.
    »Als ich Levin bekommen habe, warst du so wunderbar romantisch. Ständig hast du mir Blumen mitgebracht, mir Komplimente ins Ohr geflüstert und geschwärmt, wie wunderbar unser neues Leben zu dritt wird. Und jetzt redest du andauernd von dieser blöden Wohnung.«
    Meine Frau hatte leicht meckern. Als Sohn einer deutschenMutter und eines türkischen Vaters habe ich doppelt so viele Wertvorstellungen wie andere Menschen vermittelt bekommen. Unter anderem erwarte ich von mir selbst, der Paterfamilias zu sein, die starke Schulter, an die meine Liebsten sich vertrauensvoll anschmiegen können. Je größer die Familie – und damit meine Verantwortung – wird, desto weniger Platz bleibt für Romantik. Als sich drei Jahre vor dem Beginn dieser Geschichte unser kleiner Wildfang Levin ankündigte, war das Leben noch vergleichsweise einfach. Ich war als Polizist verbeamtet, hatte ein zwar bescheidenes, aber regelmäßiges Einkommen und war zuversichtlich, dass die Neuköllner Zweizimmerwohnung, in die Ann-Marie und ich nach unserer Hochzeit gezogen waren, auch für drei Bewohner reichen würde. In der Zwischenzeit war ich jedoch ins Comedyfach gewechselt und hatte den sicheren Beamtenstatus trotz der lautstarken Warnungen meiner Eltern gegen die Freuden – und die Unwägbarkeiten – des freien Künstlerlebens eingetauscht. Das Geld kam seitdem nicht mehr ganz so regelmäßig, und für vier Personen würden die vierzig Quadratmeter definitiv nicht reichen. Das war der Grund, warum ich auf die zweite Schwangerschaft meiner Frau nicht annähernd so entspannt und einfühlsam reagieren konnte wie auf die erste. Aber versuchen Sie das mal einer werdenden Mutter klarzumachen, die gerade im Infight mit ihren Hormonen steckt.
    »Lass mich bloß in Ruhe mit deinen billigen Ausreden. Du kannst ruhig sagen, dass du mich nicht mehr attraktiv findest!« Türenknallen, Schmollprogramm, Versöhnungsdatum ungewiss.
    Zusätzlich beunruhigte mich die Tatsache, dass wir selbst unsere Neuköllner Kuschelwohnung einst nur über dunkle Beziehungskanäle meines Vaters bekommen hatten. Irgendwie kannte er jemanden, der jemanden kannte, der jemandemeinen Gefallen schuldete und deshalb meinem Baba diese Wohnung vermittelte, der sie wiederum großzügig seinem Sohn und seiner Schwiegertochter überließ. Ich weiß, die Geschichte klingt kompliziert, das war allerdings schon die vereinfachte Version. Jedenfalls machte ich mir Sorgen, wie mein Baba auf unseren Plan reagieren würde, das von ihm vermittelte Heim aufzugeben. Er war in solchen Dingen manchmal unberechenbar, selbst bei banalsten Anlässen konnte er sich gekränkt fühlen. Ich verstehe das, denn mein Vater hatte kein einfaches Leben. Schon mit Anfang zwanzig verließ er seine Heimatstadt Bursa, um als einer der ersten türkischen Migranten sein Glück in Deutschland zu versuchen. Er und seine Schicksalsgenossen nahmen den damals gängigen Begriff »Gastarbeiter« noch wörtlich. Sie zogen in die Fremde, weil sie einige Jahre später mit üppigen Ersparnissen als gemachte Leute wieder in ihre Heimat zurückkehren wollten. Doch stattdessen lernte Baba meine Mutter kennen, eine »orijinal jebürtije Balinarin«, und gründete mit ihr in Neukölln eine Familie. Um diese vernünftig über die Runden bringen und seiner türkischen Verwandtschaft trotzdem regelmäßig Geld schicken zu können, schuftete er nicht nur im Akkord, sondern legte auch ständig Sonderschichten ein.
    »Euer Vater verlegt die Kabel, durch die der Strom zu uns kommt«, war Mutters Standardantwort auf unsere ständige Frage: »Wo ist Baba?« Die Auskunft fand ich wenig glaubwürdig, denn der Strom kam jahraus, jahrein aus den
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