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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
Autoren: Petra Tessendorf
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Prolog
    Der kleine grüne Wasserfrosch ließ sich nahe des Ufers im seichten Wasser treiben. Er war gut getarnt und zwischen dem Laichkraut und der Wasserpest kaum zu sehen. Aber Olga hatte ihn gleich entdeckt, denn sie war die Späherin und musste das Ufer und die steile Böschung genau im Auge behalten. Die ständige Furcht davor, entdeckt zu werden, schärfte ihr Bewusstsein, machte sie hellhörig und sensibel für alles, was um sie herum geschah. Die stillen Bewohner des Sees waren zu Verbündeten geworden. Sie lagen mit ihr auf der Lauer, wachsam, immer bereit zur Flucht.
    Das Floß lag ruhig auf dem dunklen Wasser. Die Luft, ja alles um sie herum war vollkommen lautlos, seltsam starr. Olgas Sinne surrten, waren angespannt, nur auf das eine gerichtet: Wo lauert der Feind?
    Das Beobachten und die ständige Anspannung waren anstrengend. So sehr, dass Olgas Augen schmerzten. Das lag zum einen an der großen Konzentration. Eine unachtsame Sekunde, und es war aus und vorbei. Zum anderen waren die grellen Sonnenstrahlen schuld, die wie durch ein Brennglas an die Netzhaut drangen und blendeten. Deshalb musste sie die Augen immer wieder zusammenkneifen und die Stirn runzeln, und das tat auf Dauer weh. Aber sie wollte unbedingt durchhalten, zu viel hatten sie bereits in das prächtige Floß investiert, das schon einigen Widrigkeiten hatte trotzen müssen. Olga hatte die Idee dazu gehabt und ihr Freund Benno hatte den Plan durchdacht. Wochenlang waren sie gemeinsam mit Thorvald,dem Dritten im Bunde der Zehnjährigen, durch den Wald gestreift, hatten Bruchholz gesammelt, immer wieder Stämme ausgetauscht, wenn sie schönere, dickere oder geradere gefunden hatten. Dass Hanna überhaupt bei dem waghalsigen Unternehmen dabei sein durfte, hatte sie einem einfachen Umstand zu verdanken: Sie hatte die drei Freunde beim Stapellauf erwischt. Und das Risiko, dass Hanna die Flößer bei den Eltern verpetzen würde, wollten sie nicht eingehen. Benno hätte ihr am liebsten eine geklebt, aber Olga lenkte ein, denn sie wusste, wozu Hanna fähig war. Sie war ein impulsives Mädchen und die Kränkung hätte sie nicht widerstandslos hingenommen.
    Obwohl Thorvald erst wegen Mumps, dann wegen Windpocken und schließlich wegen eines gebrochenen Arms vorübergehend außer Gefecht gesetzt war, bauten sie das Floß schließlich zusammen. Dass es bei der Jungfernfahrt sofort sank, obwohl nur eines der Besatzungsmitglieder an Bord war, entmutigte die Tapferen nicht. Schließlich sorgten mehrere riesige Kunststoffkanister, fest unter das Floß geschnürt, für den nötigen Auftrieb.
    Stolz lag das Gefährt nun auf dem von der Sonne aufgeheizten Wasser. In der Mitte war eine Kiste befestigt, in der sich der Proviant befand, streng rationiert: Eine große Tüte rosa-weiß gestreifter Mäusespeck, vier Doppelpäckchen Knackwurst, vier Rosinenbrötchen, einhundertundzwanzig Blatt Esspapier, acht Tüten Frigeo-Ahoj-Brause. Zwei stabile Steinschleudern, Bennos Flitzebogen mit fünf selbst geschnitzten echten Pfeilen und Olgas Wurfmesser sollten nur zur Verteidigung in Notwehrsituationen zum Einsatz kommen.
    Die Aufgaben waren vor der Fahrt ausgelost worden. Die Flößer mussten sie ohne Palaver übernehmen. Einer saß am Steuer, zwei sicherten das Ufer ab. Der vierte hatteden Joker und konnte tun und lassen, was er wollte. Faulenzen, schwimmen, sinnlose Kommandos geben, egal. Er war Chef, und damit basta.
    Bis auf ein leises Fluchen   – Thorvald hatte versehentlich seinen Arm ins Wasser getaucht und der Gips war weich geworden – sprach niemand ein Wort.
    Zwei blaugrüne Mosaikjungfern surrten wie Hubschrauber in großen Kreisen durch die Luft, eine Ringelnatter, die Olga an dem gelben Krönchen erkannte, schlängelte sich geschmeidig an ihnen vorbei, Frösche lugten aus dem Wasser wie Krokodile, und der große Graureiher stand bewegungslos im Wasser und wartete auf eine gute Mahlzeit.
    Seit der kleine Junge aus dem Nachbardorf vor einem Jahr beinahe im See ertrunken war, hatten es ihnen die Eltern strengstens verboten, auch nur in dessen Nähe zu gehen. Denn der See war tückisch. Man kam leicht hinein, aber nicht so leicht wieder heraus. Das Ufer war schlammig, sumpfig und glatt.
    Aber gerade darin lag der Reiz. Sich auf dem leicht schaukelnden Holz dahintreiben lassen, die Nase von der Sonne versengt, sacht ins dunkle, schwere Wasser abgleiten und unter das Floß tauchen, um im lichtdurchfluteten, milchig grünen Fruchtwasser der Erde behütet
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