Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition)
Autoren: Antonio Skármeta
Vom Netzwerk:
»Barbarei« halten und würde vor Angst fast sterben.
    Nachdem sie Señor Santos mitgenommen hatten, kam Señor Riquelme als Vertretung und machte mit uns eine Textverständnisübung.
    Und als endlich Pause war, verzog ich mich aufs Klo. Ich wollte mit niemandem reden. Und auch nicht, dass irgendwer mich ansprach.

VIER
    S eñor Bettini grub aus irgendeiner Schublade einen Schlips und knotete ihn sich freudlos vor dem Spiegel. Dann bestellte er für seine Tochter Patricia ein Taxi für den Weg zur Schule und bat seine Frau, ihn zum Regierungspalast zu begleiten. Dort angekommen, gab er ihr einen Kuss und übergab ihr die Autoschlüssel, »für alle Fälle«.
    Es war fünf Minuten vor zehn, als Adrián Bettini die Operationszentrale der Diktatur betrat.
    Die freundlichen Empfangsdamen trugen fuchsiafarbene Kostüme, sprachen mit sanften Stimmen und rochen gut.
    Sie führten ihn von einem Büro zum nächsten, von einem Aufzug zum nächsten, von einem Angestellten zum nächsten, bis sie ihn in ein Büro mit weichen Ledersesseln und verschwiegenen Teppichen eintreten hießen.
    Hinter dem Schreibtisch (»hinter dem Schreibtisch« sagte Bettini zu sich, als würde er irgendwem die Situation schildern, wozu es womöglich niemals kommen würde) saß der Innenminister persönlich.
    Er bekam fast einen Herzschlag. Doktor Fernández galt als der härteste Mann des Regimes. Nur übertroffen von General Pinochet. Zum Glück musste er jetzt nichts sagen, denn ihm würde garantiert die Stimme versagen.
    Der Innenminister lächelte.
    »Danke, dass Sie gekommen sind, Don Adrián. Ich möchte Ihnen mitteilen, dass die Regierung in zwei Monaten ein Plebiszit durchführen wird. Warum lächeln Sie?«
    Bettini versuchte, die Stellung seiner Lippen zu korrigieren. Dann erwiderte er, die Hände in den Taschen zu Fäusten geballt: »Ein Plebiszit wie 1980, Herr Minister?«
    »Das Plebiszit damals wurde nicht gefälscht. Pinochet gewann mit siebzig Prozent der Stimmen. Aber ich kann gut verstehen, dass Sie als Linker angesichts dieser eindeutigen Zahlen auf demagogische Gemeinplätze verfallen und uns Wahlbetrug vorwerfen.«
    Bettini wischte sich übers Revers. Während des Schlagabtauschs mit dem Innenminister merkte er, wie er ganz unvermutet an Selbstsicherheit gewann. Sollten sie ihn irgendwann töten oder foltern, würde es keine Rolle spielen, was er gesagt hatte. Plötzlich galt die Würde alles, und er sprach ohne Rücksicht auf Leib und Leben.
    »Es tut mir leid, wenn ich Ihnen diesen Eindruck vermittelt habe, Herr Minister. Aber die Leute haben keine gute Meinung von einem Plebiszit, bei dem keine Parteien mit ihren dazugehörigen Kandidaten auf den Wahllisten zugelassen werden, bei dem die Stimmen ausschließlich von Angestellten der Regierung ausgezählt werden, bei dem es weder Wahlbeobachter gibt noch eine regierungsunabhängige Presse, die einem Gegenkandidaten ein Forum bieten könnte. Aber abgesehen von diesen vernachlässigenswürdigen Kleinigkeiten dürften das Plebiszit und Pinochets Sieg sauber gewesen sein.«
    Der Minister wippte auf seinem Schreibtischstuhl, und die makellosen Zähne in seinem lächelnden Mund ließen ihn jünger aussehen.
    »Dieses Mal wird alles nach Wunsch verlaufen. An dem Plebiszit am 5. Oktober soll nichts auszusetzen sein. Es werden Oppositionelle in den Wahllokalen zugelassen werden, für die Stimmenauszählung werden wir unsere politischen Feinde in den Rechenzentren einsetzen, wir werden keinen ausländischen Beobachter zurückweisen, und der Ausnahmezustand wird ab morgen im ganzen Land aufgehoben sein.«
    »Bestens! Und was soll gewählt werden?«
    »›Ja‹ oder ›Nein‹.«
    »›Ja‹ oder ›Nein‹?«
    »Sie stimmen mit ›Ja‹, wenn Sie möchten, dass Pinochet weitere acht Jahre im Amt bleibt. Sie stimmen mit ›Nein‹, wenn Sie möchten, dass Pinochet abtritt und in einem Jahr Präsidentschaftswahlen mit verschiedenen Kandidaten abgehalten werden.«
    »Wahlen!«
    »Das ist noch nicht alles. Da wir Pinochet vor der ganzen Welt demokratisch legitimieren wollen, werden wir der Opposition an einem Tag in unserem Fernsehen Gelegenheit geben, Werbung zu machen für ihr Nein zu Pinochet .«
    »Im Fernsehen!«
    Der Minister stellte ihm ein Glas mit prickelndem Mineralwasser hin.
    »Champagner kann ich Ihnen leider nicht bieten. Aber ein Glas Wasser tut es vielleicht auch.«
    Bettini hatte einen so trockenen Mund, dass er sich mit dem Wasser unauffällig den Mund spülte.
    »Gut, Herr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher