Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition)
Autoren: Antonio Skármeta
Vom Netzwerk:
haben, die Härchen struppig, nicht glatt wie das sanfte italienische Braun ihres Haares, gekräuselt wie nach einem Stromschlag.
    Bis jetzt war kein Wort zu hören, keine Silbe, nur die Spucke auf der Haut und das Reiben der Pobacken auf dem Laken, doch auf einmal gurrt Patricia Bettini »ja«, noch einmal »ja«, immer wieder sagt sie »ja, ja«, und »ja so«, und ihre Finger krallen sich in Nico Santos’ Schädel, und dann sagt sie nichts mehr, nicht mehr »ja«, nicht mehr »ja so«, sie schweigt, wie versiegt, und beißt sich auf die Lippen, doch erst später sieht Nico, dass Patricia Bettini weint.

DREIUNDVIERZIG
    P atricia schiebt den Blümchenvorhang zurück und öffnet das Fenster. Sie lehnt die Stirn gegen den Holzrahmen und blickt in die Ferne. Laut dringt der Lärm des Hafens herauf: Kräne hieven riesige Holzkisten auf Schiffsdecks, man hört Hupen, Sirenen von Rettungswagen, die Charts der Woche aus den Radios der Nachbarwohnungen.
    »Komm her.«
    Ich stelle mich neben sie. Ohne mich anzusehen nimmt sie meinen Arm und legt ihn sich um die Schulter. Sie küsst meine Hand. Sie steht neben mir, und doch ist sie so unerreichbar weit weg wie das Meer am Horizont. Seltsam ist das. Wie schön sie ist. Zart, warm.
    »Schau«, sagt sie und deutet auf die Berge von Valparaíso. »Wenn du wissen willst, wer ich bin, schau sie dir an.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich bin wie diese Berge und alles um sie herum.«
    »So bist du.«
    »Das sagt man so, Dummkopf.« Sie klopft sich auf den Brustkorb. »Das bin ich. Wenn jemand mich malen würde und wenn ich eine Landschaft wäre, hätte ich viele Farben …«
    »Und wenn du dorthin siehst, was siehst du?«
    »Alles Mögliche.«
    »Ein großes Durcheinander.«
    »Dächer, Mauern in vielen Farben, grüne, lilafarbene, blaue, granatrote, terrakottabraune, Schornsteine, Möwen, Pelikane, Treppen, Bodenplatten, Kabel, Aufzüge wie kleine Häuschen, die die Regenrinnen hochklettern, streunende Hunde, Balkone, ein einziges Drunter und Drüber, als hätte jemand alles kurz stehen gelassen und für später aufgehoben.«
    »Genauso bist du. Du hebst dich für später auf.«
    »Da hast du es. Alles, was ich sehe und wie ich es sehe, spiegelt etwas von mir wieder. Capito? «
    »Besonders mag ich an dir, dass du fast nie capito sagst. Und ich sehe dich als …«
    Ich stocke. Ich küsse ihre nackte Schulter, atme den Duft ihres Halses ein. Während ich sie streichle, suche ich nach dem treffenden Ausdruck.
    »Sag, wie siehst du mich?«
    »Stimmig. Harmonisch. Elegant. Dass du dich selbst als durcheinander empfindest, überrascht mich.«
    Sie dreht sich zu mir um und streicht mir mit den Fingern über die Augenlider.
    »Wahrscheinlich«, sagt sie, und dabei lächeln ihre Augen, »bin ich von dem, was gerade passiert ist, verwirrt. Weißt du, warum ich so harmonisch wirke?«
    »Darüber habe ich schon mit deinem Vater gesprochen.«
    »Du redest mit meinem Vater über mich?! Was hat er dir gesagt?«
    »Das sei the italian touch . Innen herrscht Chaos, aber die Fassade ist makellos.«
    »Stimmig.«
    »Ja. Sozusagen ein ins Reine geschriebener Text.«
    »Und Laura Yáñez?«
    »Laura Yáñez ist ein Entwurf. Weißt du, wie die Schönschreibhefte von unordentlichen Kindern aussehen?«
    »Krakelschrift, Durchstreichungen. Sie hat deinen Vater gerettet, Nico!«
    »Das werde ich ihr nie vergessen. Aber ich weiß nicht, ob sie sich selbst wird retten können.«
    Patricia ist auf einmal sehr ernst. Fast schwermütig. Sie leitet mich an, noch einmal auf die Bucht zu schauen.
    »Alles strebt zum Meer.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Wir sind hier, und gleichzeitig ist da die Unendlichkeit. Wenn wir am Meer sind, geht unser eigenes kleines Leben in der Unendlichkeit auf.«
    Ich muss gähnen.
    »Über solche Themen redest du besser mit Señor Santos. Mein Vater ist ein Fan von Aristoteles und von Anaximandros.«
    »Den kenne ich nicht.«
    »Anaximandros aus Milet ist der Älteste von allen Philosophen. Von ihm ist nur ein kleines Fragment überliefert.«
    »Wovon handelt es?«
    »Ich weiß es auswendig. ›Woraus aber das Werden ist den seienden Dingen, dorthin muss es zurückkehren nach der Zeit Ordnung.‹ Diese paar Zeilen Philosophie haben ihn berühmt gemacht.«
    Patricia geht zu dem Nachttischchen und holt ihr halb leer getrunkenes Glas Cuba Libre. Sie nimmt einen Schluck und verzieht das Gesicht. Er ist lauwarm.
    »Soll ich Eis kommen lassen?«
    »Lass mal. Es wird Zeit, dass wir nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher