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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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schnaufte er vor Anstrengung.
    »Einen angenehmen Abend noch«, sagte Dallet. »Ich muß mich jetzt aufmachen. Mich erwartet zu dieser späten Stunde noch meine kleine Frau. Sie glaubt, ich speise bei einem Gönner.« Fast beiläufig bückte sich der Künstler, hob die Laterne des Hexenmeisters auf und entzündete daran seine eigene Kerze. Den Sack warf er sich über die Schulter.
    In diesem Augenblick schoß dem Advokaten ein Gedanke durch den Kopf, als wäre er ihm eingeflüstert worden. Hatte er da ein Gewisper gehört? Es wäre doch viel besser, raunte eine verschlagene Stimme, wenn du gleich zwei Teile des Buches verkaufen könntest. Aber wie? dachte Ludlow. Erkunde seine Laster, wisperte die heimliche Stimme. Die Ehefrau, dachte er plötzlich. Der Künstler ist ein Trottel. Er hat sich eine Blöße gegeben. Jetzt brauche ich nur noch der richtigen Seite einen anonymen Brief zuzuspielen, und ich bekomme diese Seiten um ein Geringes von einer Frau, die den Wert in keiner Weise schätzen kann. Brillant, bestätigte die Flüsterstimme.
    Die Sichel des Mondes verschwand jetzt hinter der Kuppel des Temple. Vor ihnen lag das aufgehäufte Baumaterial für das neue Zunfthaus in dem überfrorenen, aufgewühlten Morast, und der Wächter, den sie tüchtig bestochen hatten, lag betrunken in einer Schenke außerhalb der Mauer. Hinter ihnen befand sich die Grube mit dem seltsamen alten Mosaikboden, der die Arbeiter am nächsten Morgen in Erstaunen versetzen würde. Jenseits wartete die Stadt hinter verschlossenen Toren still und dunkel auf die Morgendämmerung. Sogar die Diebe und Dirnen, die die Straßen unsicher machten, hatten für heute aufgegeben. Nur noch das Ungeheuerliche war unterwegs. Drei vermummte Gestalten mit Laternen in der Hand eilten in der Dunkelheit in verschiedene Richtungen davon. Ein seltsames metallisches Gelächter, so als wäre etwas lange Eingesperrtes befreit worden, schien in dem Dunkel über der Grube zu schweben.

Kapitel 1
    A n dem Nachmittag, an dem sich mein ganzes Leben änderte, regnete es, daher war ich auch auf nichts gefaßt. Eigentlich sollte ich Regen mögen, weil ich nämlich um der Gerechtigkeit willen immer die Dinge lieber mag, auf die andere schimpfen. Damit will ich sagen, man sollte stets für einen Ausgleich sorgen. Wenn also jemand sagt: »Ist ihre Nase nicht häßlich«, dann antworte man: »Aber dafür hat sie schöne Augen«, und wenn jemand sagt: »Master Timmons ist ein Betrüger und ein Spitzbube«, dann sage man: »Er soll jedoch sehr gut zu seiner alten Mutter sein.« Gleichwohl kann ich Regen nicht viel abgewinnen. Er nimmt einem das Licht und macht, daß alles grau, ja sogar schimmlig wird, und nicht einmal in die Kirche kann man gehen, und so bekommt man auch nicht mit, wer neue Schuhe hat und wer sein Mieder nach der letzten französischen Mode umgeschneidert hat, da wegen des Wetters ohnedies niemand seine neuen Sachen anziehen würde. Und so vermiest einem der Regen alles, und mir vermiest er auch die Laune, und dabei sollte eine Frau immer heiter sein und ihrem Mann damit die schwere Bürde seines Tagewerks erleichtern. Zumindest steht das so im Rathgeber für das treffliche Eheweib , dem ich nacheifere, denn meine Mutter, die mir weisen Rat geben könnte, ist tot, und guter Rat ist teuer, vor allem da es Frauen den Priestern zufolge an Verstand mangelt. Aber sie sorgt über das Grab hinaus für mich, und das Buch, das sie mir vermacht hat, ist der Beweis dafür; es enthält viele kluge Gedanken und Beispiele, wie man ein Gott wohlgefälliges und bescheidenes Leben führt, und obendrein noch ein paar gute Rezepte für Seife.
    An dem Tag jedoch, als die Fremden kamen, es war ein Tag gegen Ende März im Jahre des Herrn 1514, da hatte es seit fünf Tagen ohne Unterlaß geregnet, fast konnte man es eine Sintflut nennen, und von diesen fünf Tagen war mein Mann schon drei in Geschäften unterwegs, und mich verlangte sehnlichst danach, an die frische Luft zu gehen.
    »Ich kann Regen nicht ausstehen, Nan, ich kann ihn einfach nicht ausstehen. Das soll der Frühling sein? Es ist ja fast genauso kalt und dunkel wie im Winter, und nirgendwo ist auch nur eine Spur Grün zu entdecken, und außerdem halte ich es einfach nicht mehr in diesem beengten, kleinen Zimmer aus.«
    »Vergiß nicht, daß es ohne Regen keine Blumen gibt«, sagte Nan auf ihrer Bank am Feuer und blickte von ihrem Strickzeug auf. Sie machte eine ernste Miene, doch die macht sie dauernd. Sie ist nämlich
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