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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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wie sie dennoch gerettet werden kann, falls sie bereut. Das wäre sehr rücksichtsvoll von ihnen, denn die Witwe hat kein Geld, ja sogar noch weniger als wir, und in der Regel helfen Geistliche nur reichen Witwen beim Bereuen.
    Also ist es verständlich, daß ich die Ohren spitzte, als ich nicht etwa Sandalen plitsch-platsch machen hörte, sondern knarrende Stiefel und klirrende Sporen. Fremde. Und das konnte, soviel ich und auch Nan wußten, nur eins bedeuten. Ihr Kopf fuhr hoch, und ihre Nase zitterte wie die eines alten Jagdhundes, der Gefahr wittert. Jetzt hörten wir unten auch Männerstimmen und die Stimme der Tochter, die den Fremden hämisch den Weg zu unseren Räumen wies. Wir konnten nicht verstehen, was sie sagte, denn der gräßliche Regen prasselte noch immer gegen die geschlossenen Fensterläden. Das Feuer war herabgebrannt und spendete wenig Licht, daher war es im Zimmer ganz dämmrig, lauter Töne wie Sepia und gebrannte Umbra, was für mich nicht gerade eine heitere Farbpalette ist.
    »Oh«, entfuhr es mir, »es ist bestimmt der Büttel, ich weiß es. Ich verstecke mich hinten im Zimmer, und du sagst einfach, Master Dallet ist nicht daheim – er mußte ganz plötzlich auf den Kontinent. Ein großer Auftrag – damit kann er dann alle Schulden begleichen.«
    »Was der genausowenig glaubt wie ich«, murrte Nan. »Nein, eins steht fest, dieses Mal erkläre ich ihnen genau, wo Master Dallet zu finden ist.« Nan hörte sich ebenso hämisch an wie die Tochter der Witwe, obschon ich nicht wußte, warum.
    Doch die Fremden, die Nan die Stiege hinauf und in das Schlafzimmer fühlte, waren anscheinend doch keine Büttel oder Schuldeneintreiber. Sie blieben stehen und lugten durch die geöffnete Ateliertür. Ich sah, wie sie ratlos die Gipsmodelle von Händen und Armen musterten, die zierlich gefertigten Zeichnungen und die leuchtenden Farben auf den halbfertigen Porträts der Leute von Welt, die im Gegensatz zu den verstaubten, alten Heiligen im Untergeschoß so schön und säuberlich gemalt waren. Sie taten so, als schauten sie nicht hin, doch ich merkte, wie sie die Schränke und Borde mit den Schachteln und die bauchigen Blasen, die Farben und Bindemittel enthielten, musterten, als könnten sie daran die Qualität der Arbeit ermessen.
    Auf dem Fußboden des Ateliers lagen keine Binsen, den schrubbten Nan und ich nämlich einmal wöchentlich mit Lauge und Wasser, und die Wände waren frisch mit Terpentin und Kreide getüncht, und das ganze Zimmer glänzte so makellos sauber wie das Haus meines Vaters zu seinen Lebzeiten. Das ist ein fremder Brauch, und Engländer fühlen sich so nicht wohl, doch obschon ich hier geboren bin, habe ich mich nicht an ihre Art der Haushaltsführung gewöhnen können, sie ist mir viel zu staubig. Ein Haus, in dem Miniaturen und Illuminationen gemalt werden, muß so sauber gehalten werden, denn der größte Feind dieser Feinarbeit ist Staub, der zweitgrößte Atemfeuchtigkeit, ganz zu schweigen von lautem Husten oder Naseputzen. Und Master Dallet war mehr als nur ein Staffeleimaler, der auf Leinwand oder Holztafel ein anständiges Porträt zustande brachte. Auf dem hohen Arbeitstisch am Fenster fertigte er Miniaturporträts an, eine Kunst, die mein Vater in England in Mode gebracht hatte, als er von Flandern zuzog, um den König zu malen. Und von Vater hatte Master Dallet auch seine ganze Kunstfertigkeit im Miniaturmalen, denn er lernte bei ihm in unserem Haus.
    »Ist das hier das Haus von Maître Roland Dolet, dem Maler?« fragte der Größere. Die schimmernde Seide und der satte Samt ihrer Kleidung bildeten in dem düsteren Raum einen leuchtenden Farbkontrast. Der Größere trug unter dem schweren, regenfeuchten Umhang ein Schlitzwams aus blauem Samt, darunter eine feuerrote Seidenweste und golddurchwirktes Leinen, während der kleinere, breitere Mann sich in Grün gekleidet hatte, die langen Zaddelärmel waren aus gelbem Satin, und seine Schaube war mit Marder verbrämt. Jeder hatte sich mehrere teure Ringe angesteckt. Die Sporen an ihren Stiefeln zeigten, daß sie nicht zu Fuß gekommen waren. Beide trugen Schwert und Dolch im Gürtel. Fremde, dachte ich, aus einem Land mit sonnigen Farben, die im grauen Frühling des Nordens gefangen sind. Franzosen, nach dem gewagten Schnitt ihrer Kleidung und der Art zu urteilen, wie sie den Namen meines Mannes aussprachen, der französischen Ursprungs ist, obwohl seine Familie ihn schon lange anglisiert hatte. Sie betrachteten mich mit
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