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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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konnte.
    »Nein, ein Pferd mit zwei Reitern.« Dallet blickte nicht von seiner Arbeit auf, er schaufelte weiter das Mosaik frei.
    »Das Symbol«, flüsterte Crouch. »Das Pergament hat nicht gelogen. ›Berittene Zwillinge zeigen den Weg…‹ Die Beschwörung hat uns zu ihnen geführt. Aber wo?«
    Unter ihnen im Dunkel wartete er. So überaus nahe. So bald. Aus dem Gelaß unter der Türschwelle flüsterte er nach oben: Grabt hier.
    »Die Schwelle«, schnaufte der beleibte Teufelsbeschwörer. »Der Gedanke ist mir gerade gekommen.«
    »Mir auch«, sagte Dallet. »Los, Ludlow, setzt die Schaufel hier an, wir wollen versuchen, den Stein hochzustemmen.« Sie hoben ihn an. Es knirschte, kratzte, der Stein bewegte sich, und aus der Höhlung, die er freigab, stieg ein Geruch von Moder und Fäulnis auf. Der Geruch von lang ersehnter Rache.
    »Da drinnen ist eine Kiste – das muß die Schatzkiste sein«, sagte Master Ludlow.
    »Vor der Flucht versteckt, wie das Pergament sagt«, bemerkte der Künstler.
    Die Kiste und ihr Hüter, vergraben von gemeuchelten Männern, deren Gebeine vor zweihundert Jahren in alle Winde verstreut worden waren. Vergraben mit einem Fluch während der Herrschaft König Edwards II. – und von einem Scharlatan in Schwarzer Magie und zwei habgierigen Dummköpfen während der Herrschaft des jungen Königs Heinrich wieder ausgegraben.
    Der Künstler versuchte, die Kiste mit seiner Schaufel anzuheben, doch da zerfiel das verrottete Holz zu einem Haufen Moder, und eine Verkleidung aus Blei kam zum Vorschein, eine zerbeulte Hülle, die fest mit einem unbekannten alten Schmelzmittel verschlossen war.
    »Ein Alchimistensiegel«, stellte der Künstler fest, der jetzt kniete, weil er den seltsamen Gegenstand näher betrachten wollte. Sein Atem war im gelben Schein der Laterne sichtbar, die er sich über der Bleikiste dicht vors Gesicht hielt.
    »Reicht sie hoch«, befahl Sir Septimus Crouch von seinem Standort über der Grube.
    »Damit Ihr Euch mit ihr davonmacht, während wir aus der Grube klettern?« sagte der Advokat. »O nein. Ihr reicht uns schön die Seile herunter, und die legen wir um die Schatztruhe. Dann ziehen wir sie alle drei gemeinsam hoch und verteilen ihren Inhalt auf der Stelle in die mitgebrachten Beutel.«
    Crouch kniff mißbilligend die Augen zusammen. Ich sollte sie umbringen, dachte er. Aber wo finde ich wieder zwei so wendige Männer für meine Dienste? Er musterte die Kiste, schätzte ihr Gewicht ab. Der Grubenboden sah feucht und glitschig aus. Nein, nichts zu machen. Gleichwohl ein Jammer, überlegte er. Ein Jammer, daß sich ein Hirn wie meines dieser Männer bedienen muß, die kaum mehr als Tiere sind. Was muß ich noch alles tun, damit sie Ruhe geben und sich täuschen lassen. Doch wenn die Kiste enthält, was sie enthalten sollte, dann habe ich schon bald so viel Macht, daß ich ohne diese Kreaturen auskommen kann. Schnaufend beugte er sich vor und warf ihnen die Seile zu.
    Als sie oben waren, stemmte Master Dallet das alte Schmelzmittel auf und öffnete die Kiste. Die Laterne flackerte und verlöschte fast in dem jähen eisigen Windstoß, der ihm die Haare zu Berge stehen ließ.
    »Nichts«, sagte er fassungslos. Auf dem Grund der Kiste lagen ein paar merkwürdig geformte, in vermoderte Seide gehüllte Klumpen. Auf einmal stieg ihm ein ekelhafter Geruch in die Nase, und durch seinen Kopf schwirrten Bilder: Tod, Verwüstung und der Untergang von Dynastien. »Ha!« sagte er, »man hat uns übertölpelt!« Dann lachte er beherzt, so als wollte er die dunklen Schatten verscheuchen, die er rundum spürte.
    »Ein alter Pokal«, sagte der Advokat und hob einen der Gegenstände aus der vermoderten Umhüllung. Er hatte sich fester in sein pelzgefüttertes Gewand gehüllt und das wollene Barett wieder aufgesetzt, weil ihn fror. Silber, las man in seinen berechnenden hellen Augen. Und eingeschmolzen von einigem Wert.
    »Laßt sehen«, sagte der Künstler, nahm ihm den Pokal ab und kratzte mit dem Fingernagel an dem angelaufenen Metall. Ja, er war aus Silber und kunstvoll gearbeitet. Er musterte das Gefäß eingehender, dann lachte er laut auf. »Das ist mir vielleicht ein Bursche gewesen, der daraus getrunken hat!« platzte er heraus. »Seht nur, Sir Septimus!« Der Pokal war mit obszönen Gestalten verziert. Der groteske Antiquar hielt ihn dicht an die Laterne. Die kalten Augen in dem bleichen, zerfurchten Gesicht blitzten auf, und die Lippen teilten sich zu einem verschlagenen Lächeln.
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