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Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties

Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties

Titel: Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
Autoren: William Gibson
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1 DIE SCHIMMERNDE HAUT VON RIESEN
    Der Kurier drückt seine Stirn an Schichten aus Glas, Argon und hochschlagfestem Kunststoff. Sein Blick folgt einem Kampfhubschrauber, der die Stadt in mittlerer Entfernung wie eine Jagdwespe überfliegt und den Tod in einem glatten schwarzen Behälter unter dem Thorax trägt.
    Stunden zuvor sind in einem nördlichen Vorort Raketen eingeschlagen; dreiundsiebzig Tote, und bis jetzt hat sich niemand zu dem Mord bekannt. Hier jedoch zeigen die verspiegelten Zikkurats am Lázaro Cárdenas die schimmernde Haut von Riesen und lassen auf diese Weise den nächtlichen Hagel von Träumen wie nebenbei auf die wartenden Avenidas niedergehen – alles wie immer, Welt ohne Ende.
    Die Luft hinter dem Fenster verleiht jeder Lichtquelle eine leicht leberfarbene Korona, eine neidgrüngelbsüchtige Tönung, die unmerklich ins durchscheinende Braun sickert. Feine, trockene Fäkalienflocken, die von den Rieselfeldern hereinwehen, haben sich auf die Linse der Nacht gelegt.
    Er schließt die Augen und konzentriert sich auf das Hintergrundrauschen der Klimaanlage. Er stellt sich vor, in Tokio zu sein, und dass dieses Zimmer in einem neuen Flügel des alten Imperial liegt. Er sieht sich auf den Straßen von Chiyoda-ku, unter den ächzenden Zügen. Rote Papierlaternen säumen eine enge Gasse.
    Er macht die Augen auf.
    Mexico City ist immer noch da.
    Die acht leeren Flaschen – Plastikminiaturen — stehen sorgfältig in einer Reihe am Rand des Kaffeetisches: ein japanischer
Wodka, Come Back Salmon, dessen Name – Komm Zurück Lachs – irritierender ist als sein anhaltender Nachgeschmack.
    Auf dem Bildschirm über der Konsole erwarten ihn die Ptitskiaya in einem Sex-Fries. Als er die Fernbedienung zur Hand nimmt, bohren sich ihre hohen, scharfen Wangenknochen in den Raum hinter seinen Augen. Ihre jungen Männer, die stets von hinten eindringen, haben schwarze Lederhandschuhe an. Slawische Gesichter, die unerwünschte Bruchstücke einer Kindheit wachrufen: den Gestank eines schwarzen Kanals, das Klackern von Stahl auf Stahl unter einem schwankenden Zug, die hohen alten Decken einer Wohnung mit Ausblick auf einen winterlichen Park.
    Achtundzwanzig periphere Bilder rahmen die Russen bei ihrer ernsthaften Paarung ein; er erhascht einen flüchtigen Blick auf Gestalten, die vom rauchgeschwärzten Wagendeck einer asiatischen Fähre getragen werden.
    Er öffnet noch eine von den kleinen Flaschen.
    Jetzt nehmen die Ptitskiaya , deren Köpfe wie gut geölte Maschinen auf und ab wippen, ihre arroganten, ganz auf sich selbst konzentrierten Freunde in den Mund. Die Kameraeinstellungen erinnern an den Enthusiasmus des sowjetischen Arbeiterfilms.
    Sein Blick schweift zur Wettervorhersage von NHK. Die Front eines Tiefs überquert Kansas. Direkt daneben wiederholt ein beklemmend lautloses islamisches Satellitenprogramm unablässig den Namen Gottes in einer auf Fraktalen basierenden Kalligraphie.
    Er trinkt den Wodka.
    Er sieht fern.
     
    Nach Mitternacht schaut er an der Kreuzung von Liverpool und Florencia aus dem Fond eines weißen Lada auf die Zona Rosa hinaus; eine schweizerische Nanopore-Atemschutzmaske scheuert an seinem frisch rasierten Kinn.

    Und jedes vorbeikommende Gesicht ist maskiert, Münder und Nasenlöcher sind hinter Filtern verborgen. Manche Masken ähneln zu Ehren von Allerseelen, dem Tag der Toten, den mit silbernen Perlen besetzten Kinnpartien grinsender Zuckerschädel. In welcher Form sie auch immer daherkommen, ihre Produzenten stellen alle die gleichen zweifelhaften, fälschlicherweise beruhigenden Behauptungen über Viroide auf.
    Er hat die Absicht gehabt, der Eintönigkeit zu entrinnen, vielleicht etwas Schönes oder kurzfristig Interessantes zu entdecken, aber hier gibt es nur maskierte Gesichter, seine Angst und die Lichter.
    Ein uralter amerikanischer Wagen kommt aus der Avenida Chapultepec heraus um die Ecke geschlichen. Rußschwaden quellen unter einer herabhängenden Stoßstange hervor. Eine staubige Kruste aus colafarbenem Harz und Spiegelscherben versiegelt sämtliche Flächen; nur die Windschutzscheibe ist frei, und die ist schwarz und glänzend, so undurchsichtig wie ein Tintenklecks, und erinnert ihn an den tödlichen Behälter des Kampfhubschraubers. Er spürt, wie sich die Angst unablässig, unvernünftig, mit absoluter Gewissheit um dieses Karnevalsgespenst herum zu verdichten beginnt, den Cadillac, dieses Öl verbrennende Relikt in seinem geisterhaften Kleid aus schmutzigem
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