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Die Stimme

Titel: Die Stimme
Autoren: Judith Merkle-Riley
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dürfte es durchaus tun. Wir entführen sie, verheiraten euch beide zuhause schnurstracks in der Kapelle, ohne Aufgebot, und behalten sie da, bis wir einen Beweis für den Vollzug der Ehe haben. Nur so gehen wir sicher, daß kein gewiefter Rechtsverdreher die Ehe für nichtig erklärt. Ein bißchen hastig, aber solch eine Gelegenheit bietet sich so schnell nicht wieder. Ein, zwei Wochen, und jemand anders schnappt sie sich. Außerdem muß das Dach ausgebessert werden. Was sagst du dazu?«
    »Ich hatte gedacht, das mit dem Dach wäre geregelt, Vater«, meinte Hugo, die Stimme der Vernunft.
    »Das Geld ist schon weg – für einen neuen Hengst – den großen, schwarzen. Also abgemacht?«
    »Ich gehorche, Vater«, sagte Hugo gleichmütig. Er hatte sie lieber mit mehr Busen und blond, doch abgesehen davon war für ihn eine Frau wie die andere.
    Margaret stampfte wütend mit dem Fuß auf. Sie war bis zu den Haarwurzeln errötet. Ihre Augen blitzten, und sie ballte die Hände zu Fäusten:
    »Ich heirate überhaupt niemand. Und vor allem keinen der hier Anwesenden. Und ich heirate nie im Leben, nur damit irgendein abscheuliches Dach ausgebessert werden kann. Ihr könnt mich nicht zwingen.«
    »Aber natürlich doch; ist schon öfter vorgekommen«, bemerkte der alte Mann gelassen. »Übrigens, Hugo, ist dir was aufgefallen? Der Blöde hat recht gehabt. Sie hat die Fauconberg-Augen. Sehen bei einer Frau wirklich sehr komisch aus. Also, gehen wir.«
    »Nein!« brüllte Bruder Gregory. »Ihr entführt mir Margaret nicht!« Er baute sich vor ihnen auf und zog das Messer.
    »Ha, blöde wie üblich! Die Hand gegen mich zu erheben? Du Memme, du?« Der alte Sir Hubert holte zu einem einzigen, vernichtenden Schlag aus, und das Messer flog in die Ecke. »Sag ich's nicht, du brauchst eins über den Schädel, damit du vernünftig wirst –« Er hob die Faust; Bruder Gregory parierte den kräftigen Hieb mit dem Arm und versetzte seinem Vater einen Kinnhaken, mitten auf den Bart. Der alte Mann ging zu Boden, wo er sitzenblieb. Jetzt entsetzte sich Bruder Gregory über seine Tat, öffnete die Faust und starrte seine Hand an, als ob die allein die Schuld daran trüge. Sein Gesicht wurde kalkweiß. Du sollst deinen Vater ehren! Er hatte Gottes Gebot verletzt, und diese Sünde würde unauslöschlich an ihm haften bleiben.
    »Ha, ha, ha ha!« Der alte Mann rieb sich das Kinn und lachte. Gregory blickte erstaunt. »Vielleicht kriegst du ja noch Eingeweide, du blöder Sohn.« Gregory konnte ihn nur anstarren.
    »Du willst die Frau wohl selber haben, was?« fragte sein Vater und wollte aufstehen.
    »Du hast doch Margaret gehört. Sie möchte nicht verheiratet werden«, sagte Bruder Gregory steif. Sein Vater stand nun ganz auf und funkelte ihn böse an. Vielleicht hatte sich ja in seiner Kindheit etwas in seinem Gehirn gelockert – ein Sturz vom Pferd – oder so ähnlich. Das war die einzig mögliche Erklärung. Das Hirn dieses Knaben funktionierte nicht richtig.
    »Möchte nicht? Was hat denn das damit zu tun?« Der alte Mann blickte Margaret an, die hinter Bruder Gregory stand, und sagte zu ihr:
    »Hört auf mich, Weib, Ihr tut gut daran, einen Mann mit einem Schwert zu heiraten, und das bald, sonst endet Ihr noch als Leiche oder als Bettlerin in der Gosse. Diese Kerle da auf dem Fußboden sollten Euch einen guten Vorgeschmack gegeben haben, was eine Frau ohne Mann und mit zuviel Geld erwartet. Städterinnen – bah –, keine Spur Grips. Jede Ritterwittib hat mehr Verstand im kleinen Finger.«
    Margaret sah erschrocken aus. Von dieser Seite hatte sie es noch gar nicht betrachtet. Der abscheuliche alte Mann hatte recht, auch wenn es ihr überhaupt nicht gefiel.
    Bruder Gregory war fassungslos. Die ganze Zeit hatte er sich in vagen Träumen gewiegt, daß er Margaret retten könnte und dann alles wieder wie früher sein würde. Denn wie früher war es genau richtig, ja, recht bequem eingerichtet gewesen. Er hätte weiter seine Runde durch die Ale-Häuser machen, mit seinen Freunden disputieren und dann bei Margaret vorbeischauen können, wo das Essen immer gut und die Unterhaltung vergnüglich war. Und jemand anders scherte sich um das Dach, die Regenrinnen, das Holz, die Bälger und Margaret selbst. Irgendwie hatte er sich das während seiner Abwesenheit so vorgestellt: sie in der Küche beim Brotbacken, gutes Brot – und hatte sich ausgemalt, ihre Rettung bedeutete, daß alles wieder am angestammten Platz wäre, auch Margaret.
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