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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes
Autoren: Andreas Franz
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Prolog
    Normalerweise machten sie es am Wochenende, in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Diesmal jedoch waren sie gezwungen, es auf einen anderen Tag zu verlegen, denn es ging das Gerücht, irgendein mieser Verräter habe der Polizei einen Tip gegeben.
    Sie hatten sich eine Scheune auf dem alten Müllerhof für ihr Spektakel ausgesucht, etwa zwei Kilometer außerhalb von Waldstein, auf einem schon seit Jahren verlassenen Grundstück, das keinem gehörte und für das sich keiner interessierte.
    Immer mehr kamen angerollt, Kombis, Transporter, aber auch ganz normale Autos, deren Kofferräume teils zu Käfigen umgerüstet worden waren. Grelle Scheinwerfer durchstachen die schwülheiße Nacht, Reifen knirschten durch den Sand, der durch hauchdünne Wolkenschleier scheinende Vollmond verwandelte Menschen in Schemen.
    Schließlich parkten mehr als sechzig Fahrzeuge auf dem großen Platz vor der Scheune. Die Männer und Frauen, die ihnen entstiegen, unterschieden sich nur unwesentlich von anderen »normalen« Bürgern. Einige trugen tief ins Gesicht geschobene Hüte, Jeans, Karohemden und Stiefel, es war als paßten sie sich ihren Vorbildern aus Übersee an, die Gesichter ernst und verschlossen. Gespenstische Atmosphäre.
    Kaum jemand sprach, fast alles geschah schweigend, die Begrüßung erfolgte durch Kopfnicken, nur selten fiel ein Name, und wenn dann nur flüsternd; Namen waren bei diesen Veranstaltungen tabu. Im Moment standen sie alle,Beteiligte und Zuschauer, unter einer Hochspannung, die sich erst in einigen Stunden entladen haben würde.
    An diesem Ort trafen sie sich zum ersten Mal, und es würde auch das einzige Mal bleiben, fast nirgends taten sie es öfter als einmal, denn bereits beim zweiten Mal liefen sie Gefahr, aufzufliegen. Ihr Tun war verboten, strafbar, aber wer sich hier einfand, den scherte dies wenig, denn nur ignorante Sesselfurzer mit weißen Kragen und hochgebundenem Schlips konnten solche Scheißverbote erlassen. Kleinkarierte Büroärsche, die den ganzen lieben langen Tag nichts anderes zu tun hatten, als mit ihrer Nase im Rinnstein rumzuschnüffeln, um herauszufinden, wie viele verschiedene Arten Scheiße drin rumschwammen.
    Verdammte Verbote! Verdammte Strafen! Aber hier, an den Ausläufern des Fichtelgebirges, war das Land groß und die Besiedlung noch dünn, und so manch ein Richter und Staatsanwalt bestechlich, und nicht selten traf man am Ort des Geschehens selbst einen Richter, einen Anwalt oder einen Polizisten an.
    Ein Hund nach dem andern wurde von seinem Herrn aus dem Auto geholt, meist kleine, krummbeinige, eigens für solche Kämpfe herangezüchtete Pit Bulls, drahtige, kernige, weder Tod noch Teufel fürchtende Kreaturen.
    Diese Kämpfe übten eine merkwürdige Faszination aus, sie hatten etwas Prickelndes, Magisches, das nur verstehen konnte, wer einmal dabeigewesen war, und das keiner je verstehen würde, der nur davon hörte. Fast schien es, als faszinierte viele nicht so sehr der Kampf selbst, sondern das bloße Dabeisein, dieses störrische Sich-den-Verboten-Widersetzen, vielleicht auch die Enge der Scheunen oder Baracken, die stickige Luft, der beißende Geruch, fast schon Gestank, aus Schweiß, Ausdünstungen, Blut, Tabak und billigem Fusel, der Schimmer der aufgewirbelten Sägespäne im matten Licht einer einsam von der Decke baumelndenGlühbirne, die Anfeuerungsrufe, das wilde Schreien und Stöhnen der Männer und Frauen, in das man wie unter Hypnose mit einstimmte, egal für welchen Hund man Partei ergriffen hatte, das Betrachten der erhitzten, geröteten Gesichter, dieses kurze Dazugehören zu einer ausgestoßenen, verachteten Gruppe.
    Es war sinnlos, ihnen Vorhaltungen zu machen, erklären zu wollen, was sie taten, sei Tierquälerei. Bestenfalls schüttelten sie nur mitleidig oder abfällig grinsend die Köpfe – manch einer reagierte aber auch aggressiv. Denn sie behaupteten allen Ernstes, ihre Hunde zu lieben, und diese Liebe würde von ihren Hunden erwidert. Und beobachtete man sie, wenn sie sich unbeobachtet glaubten, dann war man sogar geneigt, ihnen dies abzunehmen. Sie behandelten ihre Hunde wie das kostbarste Gut dieser Welt. Wahrscheinlich stimmte es sogar, und sie liebten ihre Hunde mehr als andere ihre Pudel oder Schäferhunde, und wahrscheinlich stimmte es auch, daß die meisten von ihnen fast ausschließlich von ihren Hunden geliebt wurden. Sie lebten für ihre Hunde, beteten für sie, stellten Kerzen für sie auf, opferten alles für sie, freuten sich
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