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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes
Autoren: Andreas Franz
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Bäuchen mit herausquellendem Gedärm träumten und schweißgebadet und schreiend aufschreckten, ältere Frauen oder Männer, die mit dem modernen Leben nicht zurechtkamen, oder einfach nur Verrückte, die in die Klapsmühle gehörten. Er und Depressionen? Aber diese unheimliche Krankheit umschlang ihn wie ein Dämon; er erzählte niemandem davon, denn keiner sollte denken, er wäre verrückt. Es war nicht die übliche, normale, gesunde Angst, die vor Gefahr warnte,es war eine heimtückischere, unerklärliche Form. Er begann, seinen Körper zu beobachten, hatte zu manchen Zeiten solche Todesangst, daß er schreien wollte und es doch nicht konnte. Dabei, das wußte er, war die Furcht vor dem Tod unbegründet, denn er war in körperlich einwandfreier Verfassung – der Arzt hatte es ihm nicht nur einmal bestätigt –, doch bei einer solchen Attacke wurde der Verstand einfach außer Kraft gesetzt.
    Nachdem er den Ort gewechselt hatte, waren die Beschwerden mit der Zeit abgeklungen, die Panikattacken wurden immer seltener und damit die körperlichen Symptome, wie Herzjagen, das Gefühl, einen Eisenpanzer um die Brust gelegt zu bekommen, kaum noch schlucken zu können, weil die Kehle trocken wie Wüstensand wurde … Er nahm regelmäßig seine Pillen, sein Leben war geregelter geworden. Nur manchmal, wenn er sich besonders gut fühlte und voller Tatendrang steckte, sehnte er sich nach Frankfurt zurück. Wenigstens für ein paar Tage. Der enervierenden Langeweile entfliehen, ein paar Stunden abgasgeschwängerte Großstadtluft und -atmosphäre inhalieren, alte Bekannte wiedersehen.
    Brackmann stoppte gegenüber dem großen, schmiedeeisernen Tor der Vandenbergs, in dessen Mitte das nicht zu übersehende Familienwappen prangte. Hinter dem Tor zog sich der Weg in einem absolut gleichförmigen Halbkreis zum Haus hinauf, das wie ein Palast, eine Festung über dem Ort erbaut war. Die Doggen waren, sobald sie das Motorengeräusch hörten, wie aus dem Nichts aufgetaucht, starrten ihn regungslos an, stumm und feindselig, als warteten sie nur auf eine Gelegenheit, ihn mit ihren messerscharfen Zähnen genüßlich in kleinste Stücke zu zerlegen.
    Die Sonne hatte den Zenit leicht überschritten, stand jetzt hinter den Bäumen, der kräftige Südwind selbst aber war viel zu heiß, um auch nur die geringste Linderung oderKühlung zu bringen. Die schwüle Hitze ermüdete Brackmann, seine Glieder wurden schwer, er lehnte sich zurück und schloß die Augen. Fünf, sechs Minuten döste er vor sich hin, bis Richters krächzende Stimme ihn aus seinem Dämmerschlaf riß.
    »Brackmann, bitte kommen!«
    Er tastete schläfrig nach dem Mikrofon. »Hier Brackmann«, antwortete er. »Was gibt’s?«
    »Kommen Sie schnell zu Frau Olsen! Der Doktor ist auch schon hier. Sie möchte mit Ihnen sprechen, allein. Aber beeilen Sie sich, es steht nicht gut um sie.«
    »Verstanden, bin schon unterwegs. Ende.« Brackmann startete den Motor, gab Gas. Die Müdigkeit war wie weggeblasen.
    Richters Streifenwagen parkte vor Maria Olsens Gemischtwarenladen. Noch warf das Geschäft Gewinn ab, trotz des Supermarktes, der eigentlich fast alle anderen Geschäfte überflüssig machte, aber Maria Olsen war eine Institution, immer freundlich, stets hilfsbereit, mit ihr ließ sich reden, wenn man einmal nicht ganz flüssig war, bei ihr konnte man noch anschreiben lassen.
    Seit ihr Mann, ein amerikanischer Soldat, den es nach seiner Stationierung in Hof nicht in die Staaten zurückgezogen hatte, vor über dreißig Jahren an einem Hirntumor innerhalb von nur einer Woche gestorben war, führte sie den Laden allein. Sie hatte nie wieder heiraten wollen, obwohl sie mit ihren sechzig Jahren eine recht gut aussehende, attraktive Frau mit einem beinahe faltenfreien, feinporigen Gesicht und einer ungewöhnlich jugendlichen Figur war. Lediglich die Augen verrieten ihr Alter, das einst strahlende Blau hatte sich in fahles Grau gewandelt, sie waren leer, kein Glanz, geschweige denn so etwas wie Feuer, sie verliehen dem Gesicht etwas Maskenhaftes. Unverbindliche, distanzierte Höflichkeit. Maria Olsen hieltihre feine Stimme immer gesenkt, wählte ihre Worte mit Bedacht, eine fromme Kirchgängerin.
    Dr. Reuter, der schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite wohnte und dort auch seine Praxis betrieb, stand in der Tür, seine Mundwinkel zuckten, die Schultern hingen nach vorn, die Augen waren voll Trauer auf Brackmann gerichtet. Jetzt schien er Brackmann nicht einmal mehr bis zu den
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