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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes
Autoren: Andreas Franz
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Unwohlsein und Kopfschmerzen geklagt. Ich wollte sie untersuchen, aber sie weigerte sich … Sie hat sich ja nie von mir untersuchen lassen!« stieß er bitter hervor und ließ die Tasche zuschnappen. »Ein Schlaganfall dürfte jedoch das wahrscheinlichste sein. Verfluchte Hitze!« Nach diesen Worten verließ Reuter den Raum. In der Tür blieb er jedoch plötzlich stehen, mit dem Rücken zu Brackmann. »Wenn Sie noch Fragen haben … Sie wissen ja, wo Sie mich finden können.«
    Brackmann begleitete Reuter zur Tür; er sah ihm nach, wie er die zehn Stufen des Hauses hinunterging, eine Sekunde an der Straße verharrte.
    »Ach, Doktor!« rief Brackmann ihm hinterher und deutetemit einer Hand zum Haus. »Was soll jetzt mit ihr geschehen?«
    »Rufen Sie Pickard an. Er soll sich um sie kümmern.«
    Pickard, dessen Vorfahren Hugenotten waren, der sich aber seiner Frau zuliebe zum Katholizismus bekehrt hatte, war Schreiner. Und Dachdecker. Und Schlosser. Zusammen mit seinen Söhnen Bernd und Dieter betrieb er eine Werkstatt, in der sie Möbel, Dachbalken und Zäune oder auch mal eine Hausverkleidung fertigten. Und natürlich, wenn nötig, einen Sarg. Brackmann telefonierte mit ihm, und auch Pikkard war entsetzt, vom Ableben der Maria Olsen zu erfahren. Schließlich war Maria Olsen nicht irgendwer, sie hatte dazugehört wie das launische Klima, die Ruhe, die Eintönigkeit, der Gestank nach Katzendreck, der bei Ostwind aus grenznahen Fabriken der Tschechei rüberwehte.
    Nachdem Brackmann aufgelegt hatte, inspizierte er die Räume des Hauses. Er war noch nie hiergewesen. Jedes Zimmer war bis in den letzten Winkel aufgeräumt, Nippesfiguren hinter einer Glasvitrine, teures Geschirr, das wahrscheinlich nie benutzt worden war, dicke, dichtgewebte Teppiche, die den Boden des Wohnzimmers bedeckten und jeden Schritt schluckten, im Wohnzimmer zwei Wandteppiche mit arabischen Motiven. Ein Regal voller Bücher, Brackmann stand davor, las einige der Titel, er hätte nie vermutet, daß Maria Olsen eine derart belesene Frau war.
    Nirgends Staub, dafür penible Sauberkeit, fast Sterilität. Maria Olsen. Brackmann überlegte und mußte feststellen, fast nichts aus ihrem Leben zu wissen, nicht einmal, ob sie Verwandte hatte. Dabei war es durchaus wichtig, Angehörige zu finden, denn Maria Olsen war nicht unvermögend. Das ertragreiche Geschäft, dazu ihre bekannte Sparsamkeit, lediglich einmal im Monat die Fahrt nach Nürnberg wegen wichtiger Besorgungen. Was würde nun mit all ihrem Besitz geschehen? Gab es Erben?
    Nach seinem Rundgang durchs Haus setzte er sich auf die Stufen, blickte auf die Straße hinunter. Während er auf Pickard wartete, zog er aus seiner Brusttasche eine Schachtel Rothhändle. Er saß im Schatten, zündete sich eine der filterlosen Zigaretten an, inhalierte tief, ein Blick zum Himmel, wo sich kleine weiße Wattebäusche über das blasse Blau verteilt hatten. Schweiß rann in Bächen über seinen Körper, es war weniger die Hitze als die extrem hohe Luftfeuchtigkeit, die ihm heute zu schaffen machte. Er haßte solche Tage, besonders, wenn sie Tote forderten.
    Pickard kam eine knappe halbe Stunde nach dem Telefonat. »Tut mir leid, wenn es etwas länger gedauert hat. Doch bei dieser Sauhitze geht alles etwas langsamer«, sagte er stöhnend und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn.
    »Nur der Tod nicht«, erwiderte Brackmann leise und erhob sich von den Stufen.
    »Leider, aber wo geht der schon langsam?«
    Pickard war ein kleiner, leicht untersetzter Mann, dem man die enormen physischen Kräfte nicht gleich ansah. Verschmitzte wäßrigblaue Augen nahmen durch eine silberfarbene Nickelbrille die Welt wahr, Pickards Augen wirkten immer verschmitzt, selbst wenn er wütend war.
    »Ich habe sie gestern noch gesehen. Arme Maria! Tja, ich sage immer, man weiß nie, wann es einen trifft. Er da oben«, sagte er und deutete mit der Hand in Richtung Himmel, »wird wohl ganz gut wissen, wann die Zeit für jeden von uns gekommen ist. Wehren kann sich keiner dagegen.« Er zuckte mit den Schultern. »Wozu auch, wäre ja doch sinnlos.«
    Brackmann schwieg dazu, Pickard folgte ihm ins Haus. Sie blieben vor dem Bett stehen, auf dem die Tote lag, die Hände über dem Bauch gefaltet, die Augen geschlossen. Pickard verharrte einen Moment andächtig, schaute auf dieTote, ein leichtes Zucken um die Mundwinkel, ein kurzer Blick zu Brackmann.
    »Sie sieht friedlich aus, nicht?« sagte er beinahe ehrfürchtig. »Sei’s drum, die
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