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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes
Autoren: Andreas Franz
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wie kleine Kinder, wenn ihre Hunde wieder einmal gewonnen und genug Geld gebracht hatten, um die Tage bis zum nächsten Kampf zu überleben – und ergaben sich in stille, depressive, wehmütige, selten wütende Trauer, wenn ihr Vierbeiner den Weg alles Irdischen beschritten hatte.
    Es waren häßliche Hunde. Häßlich für andere. Für ihre Besitzer jedoch waren es die schönsten Hunde der Welt. Keine rötlich glänzenden, aufpolierten Irish Setter, keine drahtigen Dackel, keine formvollendeten Schäferhunde, keine »gestylten« Afghanen. Dafür kraft- und mutstrotzende Kerle, perfekte Hunde, das Abbild jener Kreatur, die Eigenschaften besaß, die viele ihrer Besitzer selbst gerne besessen hätten.
    Wie vor jedem Kampf verhinderten die Männer und Frauen auch in jener Nacht, daß die Hunde vor der Auseinandersetzung in dem mit Sägespänen gefüllten Ring miteinander in Berührung kamen. Denn so sehr sie ihre Herren liebten, so sehr haßten sie die eigene Art. Gezüchteter, wilder Haß. Haß, der sich in ihren Augen, im Fletschen ihrer Zähne, in der drohenden, angespannten Haltung ihrer krummen Beine widerspiegelte. Ein Haß, der nur ein Ziel hatte – töten. Und wenn es auf Kosten des eigenen Lebens war. Tötungsmaschinen.
    Hinter einem am Nachmittag schnell hingezimmerten Stand wurden die Wetten für die Kämpfe entgegengenommen, Wetten war das zweitwichtigste bei diesen Zusammenkünften.
    Scherer stand in der Tür und begutachtete argwöhnisch jeden, der an ihm vorbei die sich zusehends füllende Scheune betrat. Noch war der Ring leer, doch nicht mehr lange, bald war es soweit, bald würden sie sich in den Spänen wälzen, Pit Bulls, Mastinos und andere, sich ineinander verbeißen, Blut und Schleim würden auf den Boden tropfen, die Späne zu blutig-schleimigen Klumpen verkleben, es würde von den Wänden widerhallen, das Geschrei, Gejohle, das Fluchen, das Stöhnen und das »Los« des Schiedsrichters, der mit diesem Kommando und dem Senken des Arms den ersten Kampf freigeben würde.

Kapitel 1
    Er hatte aufgehört zu wippen. Das einzige, was sich noch bewegte, war der von einem fleckigen, blau-rot karierten Hemd bedeckte Brustkorb, der sich langsam hob und wieder senkte, und sein linker Mittelfinger, der in unregelmäßigen Abständen zuckte. Wie jeden Mittag etwa um die gleiche Zeit war er in einen tiefen Schlaf gesunken, aus dem er erst nach zwei oder drei Stunden erwachen würde. Wenn er schlief, störte ihn nichts, weder das Knarren der morschen Verandabohlen unter seinem Schaukelstuhl, noch das Windrad in seinem verwahrlosten Garten, das sich quietschend drehte, angetrieben von einem heißen Südwind, der vereinzelt winzige Staubfontänen vor sich her durch die Gassen trieb.
    Die Straße lag ausgestorben, kein Kind, keine Katze, kein streunender Hund, jedes Lebewesen schien das Ende der Mittagshitze abzuwarten. Noch war der Horizont eine milchige, flimmernde, beinahe undurchsichtige Wand, hinter der schemenhaft im flirrenden Dunst die Höcker des Fichtelgebirges im Osten, die des Frankenwaldes im Westen aus dem Boden ragten, die seit Wochen die Erde verbrennende Sonne hatte etwas Lebensfeindliches.
    Ein vom Supermarkt kommender alter Lieferwagen passierte laut tuckernd die staubige Straße in Richtung Hof, wenig später gefolgt von Brackmann, dem Polizisten, der in seinem klapprigen Opel eine gemächliche Runde durch den jetzt einer Geisterstadt gleichenden Ort drehte. Die wenigen Geschäfte hatten, bis auf den Supermarkt, bis drei Uhr geschlossen, der Krämerladen von Frau Olsen, die Gärtnerei,der Uhrmacher, der Friseur, die Filiale der Volksbank Hof, in der gleichzeitig auch die Post untergebracht war, die Apotheke und die wenigen anderen Läden, die für einen kleinen, abseits jeder größeren Ansiedlung gelegenen Ort wie Waldstein unbedingt nötig waren.
    Lediglich Toni hatte seine Kneipe, die genau gegenüber vom Rathaus lag, geöffnet, wie jeden Tag von morgens um neun bis Mitternacht. Toni stand hinter dem Tresen, ein kleiner, gemütlicher, eher stiller Mann mit Halbglatze und Kugelbauch, die Augen hinter einer schmalen, leicht getönten Brille versteckt, das Gesicht schweißüberströmt. Mit einem Tuch wienerte er Gläser, mehr Beschäftigungstherapie denn Notwendigkeit, und sobald er überzeugt war von ihrer Sauberkeit, stellte er sie zufrieden knurrend in das Regal zurück.
    Sein Reich war nur klein, Waldstein selbst war ja kaum mehr als ein unscheinbarer Flecken an den Ausläufern des
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