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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes
Autoren: Andreas Franz
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meisten Toten sehen irgendwie friedlich aus. Sie werden mir helfen müssen. Bernd und Dieter sind heute nämlich in Nürnberg, was für die Werkstatt besorgen. Und«, dabei zwinkerte er vieldeutig, »danach werden sie sich ein wenig Vergnügen gönnen.«
    Brackmann ignorierte es. Es hatte Zeiten gegeben, da konnte auch er in der Gegenwart von Toten noch Witze reißen, heute war ihm nicht danach. Sie hievten den Leichnam in den Sarg, Pickard bei den Füßen, Brackmann unter den Armen. Nach kaum fünf Minuten hatten sie es geschafft; der Sarg war im Auto verstaut.
    »Dann werde ich mich mal auf den Weg machen. Den Totenschein hat doch sicher unser …« Er verzog leicht gequält den Mund, sagte: »Scheiße, was? Ist er ansprechbar?«
    »Er hat den Totenschein. Aber ich würde nicht gleich jetzt … ich meine … wenn Sie verstehen.«
    Pickard nickte, stieg wortlos in sein Auto, nahm den Weg zurück zu seinem Betrieb, der wie das Wohnhaus, das Holzlager und die kleine Kühlhalle, in der Tote bis zur Beerdigung »frischgehalten« wurden, am Südrand von Waldstein lag. Eine Menge Formalitäten standen in den kommenden Tagen an, das Geschäft, das Haus, das Geld. Reuter würde sicherlich einen Teil übernehmen, für das Notarielle war wohl Obert, der Anwalt, zuständig.
    Brackmann setzte sich in seinen Streifenwagen, fuhr die wenigen Meter zum Büro. Stellte das Radio an, Nachrichten aus der Umgebung, anschließend der Wetterbericht, die gleiche eintönige, nichtssagende Vorhersage wie seit Tagen, Wochen, Monaten. Keine Abkühlung, kein Regen in Sicht. Ihm kam die merkwürdige Prophezeiung des alten Willy inden Sinn. Willy war ein lieber Kerl, nur manchmal quatschte er ein bißchen viel, vor allem, wenn er einen über den Durst getrunken hatte. Und es verging kaum ein Tag, an dem er nicht spätestens um sechs Uhr nachmittags sturzbesoffen war, seine Leber mußte inzwischen die Größe eines Fußballs haben.
    Der Sender spielte Wunschhits, Brackmann drehte den Lautstärkeregler höher. Statt vor dem Büro zu halten, beschloß er kurzerhand, es links liegenzulassen und Pfarrer Engler einen kurzen Besuch abzustatten. Aller Wahrscheinlichkeit nach wußte er noch nichts von dem Geschehenen.
    Er fuhr die leichte Anhöhe hinauf, wo die Kirche, ein gerade vor wenigen Wochen neu gestrichener weißer Bau stand und der Pfarrer in einem Haus dahinter wohnte.

Kapitel 3
    »Sie war eine gute Frau.« Pfarrer Engler stand an den Altar gelehnt, eine respektable, hünenhafte Erscheinung, knapp einsneunzig groß, weit über zwei Zentner schwer. Ein gutmütiger Mann mit einer sonoren Stimme, beliebt und hochangesehen – bei den meisten jedenfalls. Er wandte viel Zeit auf, sich um die großen und weniger großen Sorgen und Nöte seiner Schäfchen zu kümmern, seine Kirche war Sonntag für Sonntag bis auf den letzten Platz besetzt. Es war angenehm kühl in der Kapelle, der Geruch von Weihrauch hing in der Luft, auf dem Altar zwei brennende Kerzen. Eine erhabene, friedliche Stille.
    »Sie war noch am Sonntagabend bei mir. Sie wollte sich einmal aussprechen … über Dinge, über die man wohl nur mit einem sehr, sehr guten Freund oder eben mit einem Priester sprechen kann. Wenn ich an den Abend zurückdenke … ich muß zugeben … nun, sie hat auf mich einenbedrückten Eindruck gemacht.« Eine kurze Pause, ein Stirnrunzeln, die Frage: »Wie hat Doktor Reuter es aufgenommen?«
    »Sie ist praktisch in seinen Armen gestorben. Mein Gott, der Mann ist fertig …«
    »Sie hat es jetzt besser.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Nun, sie war nicht arm, zugegeben, doch was nützen diese Schätze, auf die Ewigkeit bezogen? Dort, wo sie jetzt ist, braucht sie kein Geld. Und sie ist ihre Sorgen los …«
    »Sorgen …«
    »Ja, sie hatte Sorgen, große Sorgen sogar. Ich denke, oder, nein, ich bin fest überzeugt, daß sie am Sonntag abend zum ersten Mal wirklich darüber gesprochen hat.«
    »Ausgerechnet Frau Olsen? Seltsam, bei ihr hätte ich am wenigsten vermutet, daß …«
    »Es ist, wie ich sage. Ich kann nicht darüber reden, mein Beichtgeheimnis verbietet es mir«, sagte er mit einer bedauernden Handbewegung. »Wissen Sie, ich bin jetzt seit vierunddreißig Jahren Pfarrer in Waldstein, ich habe miterleben müssen, wie ihr Mann … ich meine, es war entsetzlich mit anzusehen, wie ein Kerl, ein Mannsbild wie dieser Olsen innerhalb von nur wenigen Tagen … Ein Hirntumor, einfach schrecklich. Aber lassen wir das. Jedenfalls, als ihr Mann starb, begannen auch
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