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Die Stimme

Titel: Die Stimme
Autoren: Judith Merkle-Riley
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und machte sich auf den unvermeidlichen Funkenregen gefaßt, der sprühen mußte, wann immer die beiden aufeinanderstießen.
    Im Reiten erläuterte Bruder Gregory seinem Vater das Vorgefallene in Einzelheiten, doch nicht ohne gewisse, bissige Zwischenbemerkungen des alten Mannes.
    »Ha, ha ha, ha! Du sagst also, sie lauern dir auf?«
    Wenigstens lacht er, dachte Bruder Gregory.
    »Hier ist's öde gewesen, Gilbert; immerhin, du sorgst jetzt für ein bißchen Spaß. Kann sein, du hast unter deinem langen Gewand da doch noch mehr als einen Bauchnabel. Weißt du eigentlich, daß dein Bruder Hugo noch zu Haus ist? Ich nehme wohl besser ihn und die Knappen und ein halbes Dutzend Stallburschen mit. Das wird ein Riesenjux.« Dann lachte er wieder seine empörende, wiehernde Lache.
    Bruder Gregory ließ den Kopf hängen. Vater war einfach unmöglich. Selbst in umgänglicher Stimmung war er absolut entsetzlich. Er hätte sich wohl besser ins Kloster davongemacht, statt zurückzukommen und sich wieder auslachen zu lassen. Warum, o warum, hatte er sich das nur angetan? Aber gut, es war nun einmal geschehen, und ein Zurück gab es nicht. Margaret mußte jedenfalls gerettet werden.
    Bruder Gregory nickte immer wieder auf der Bank in der großen Halle ein, während sein Vater Anweisungen erteilte. Die Hunde stritten sich um einen in den stinkenden Binsen verborgenen Knochen. Gregorys Vater hielt nichts davon, sie zu wechseln – ließ einfach neue auf die alten werfen, bis man so tief darin einsank, daß man nicht mehr gehen konnte. Er hatte schlichte Vorstellungen davon, was eine richtige Halle ausmachte: viel Hirschgeweihe an den Wänden, einige veraltete Streitäxte vielleicht, ein paar ererbte Lanzenwimpel, eine große Feuerstelle in der Mitte und einen endlosen Vorrat an Ale. Das machte ein Haus zum Heim, in seinen Augen jedenfalls. Um Haushaltsbelange kümmerte er sich ohnedies nicht. Das war Frauensache, wenn Frauen da waren, doch das waren sie eben nicht. Der Alte war Witwer, seitdem Bruder Gregorys Mutter an etwas gestorben war, das ihr Mann für religiöse Ausschweifung hielt. Immer noch plagten ihn Erinnerungen an große, braune, tränenerfüllte Augen, wie sie zu ihm hochflehten, er möge doch zu Gott zurückkehren; und dabei hielt sie seine Füße umschlungen. Zweifellos hatte sie sich jenes Fieber zugezogen, weil sie in der Regel zu jeder Tages- und Nachtzeit in der ungeheizten Kapelle gebetet und geweint und sich dabei auf den eiskalten Steinfußboden geworfen hatte. Sie hatte ihm zumindest einen richtigen Sohn als Erben hinterlassen, dazu aber auch den Blöden und eine ganze Reihe toter Geschöpfe, ehe sie sich am Ende in jenen Himmel aufmachte, nach dem sie sich so inniglich gesehnt hatte. Hugo hatte auch noch keine Frau. Er kümmerte sich nicht darum, war zu beschäftigt, und dabei wurde es höchste Zeit. Bruder Gregory gab es zwar auch noch, doch der war hoffnungslos. Immer wenn der alte Mann an ihn dachte, knurrte er bei sich: »Nur zwei Pfeile in meinem Köcher«, und hätte seinem elendigen zweiten Sohn gern wieder eins übergezogen.
    »Aufwachen, willst du wohl aufwachen, du Faultier!« Bruder Gregorys Vater hatte ihn von der Bank zu Boden geschubst, besser geworfen. Bruder Gregory stand auf, staubte sich ab und blinzelte. Was für ein furchtbarer Alptraum; einen Augenblick war ihm doch so gewesen, als hätte er über sich seinen Vater mit großem, weißen Bart, buschigen Augenbrauen und bösartig funkelnden, blauen Augen gesehen. Dann ging ihm mit einem Ruck auf, daß es gar kein Traum war. Warum um Himmels willen war er heimgekehrt? O ja, um Hilfe für Margaret zu holen. Trotzig reckte er das Kinn und blickte seinem Vater in die Augen.
    »Alles ist bereit, da kannst du nicht den lieben, langen Tag schlafen – wir brechen auf«, schnauzte ihn sein Vater an. Hugo und die anderen standen um ihn herum und sahen zu, wie er sich fertigmachte. Seine Rolle dürfte nicht sehr groß werden. Schließlich war kein Verlaß auf einen Simpel von Sohn, so einer machte nie etwas richtig. Bruder Gregory diente lediglich als Köder.
    Der Stallbursche hielt unten an der Treppe frische Pferde bereit. Das Mietpferd ruhte sich aus und würde am nächsten Tag zurückgebracht werden. Der Trupp legte den Rückweg in einer guten Zeit zurück, trabte oder ging im Schritt, während Bruder Gregory vor sich hindöste und wie ein Mehlsack über die Sattelkante hing, denn es war für ihn nun schon der zweite Tag ohne Schlaf. Doch dieses
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