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Die Stimme

Titel: Die Stimme
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Handgelenken durch; ihren Knebel hatte er bereits entfernt, doch ausnahmsweise hatte es Margaret die Sprache verschlagen.
    »Nicht übel, gar nicht übel«, sagte der alte Mann, schlich um sie herum und musterte sie von Kopf bis Fuß wie ein zum Verkauf angebotenes Pferd. Margaret war fassungslos. Der alte Mann sah aber auch wirklich zum Fürchten aus. Sein Brustharnisch und seine Bruch waren blutbespritzt. Sein Bart – einer von der altfränkischen Art, in dem immer Bratensoße hängenbleibt, wenn man sich nicht vorsieht – stand ihm zerrupft und wirr ums Gesicht und wurde nur noch von dem schütteren, weißen Haar übertroffen, das zum Vorschein kam, als er den Helm abnahm. Seine wilden, gesträubten Brauen überschatteten Augen, die irgendwie enttäuscht blickten, enttäuscht, daß es nichts mehr zu töten gab.
    »Das ist also die Frau, unter deren Röcke du gekrochen bist, Gilbert? Gar kein so übles Weibsbild.«
    Da stand nun Margaret, adrett und tragisch in Schwarz, und das Brennende Kreuz glänzte auf dem dunklen Untergrund. Sie war wütend. Mit zusammengebissenen Zähnen flüsterte sie:
    »Bruder Gregory, wer ist dieser gräßliche, alte Mann da?«
    »Das ist Vater, Margaret. Vater, das ist Margaret – und das da ist mein Bruder Hugo, und das sind Damien und Robert, ihre Knappen.« Der alte Mann antwortete auf diese unbeholfene Vorstellung mit einem knappen Nicken. Hugo, der ebenfalls den Helm abgenommen hatte, wobei dunkelblondes, kurzgeschnittenes und im Nacken ausrasiertes Haar nach Normannenart und die kalten, blaßblauen Augen eines berufsmäßigen Killers zum Vorschein kamen, grüßte sie mit einem Grinsen.
    »Sieh einer an, Gilbert«, fuhr der alte Mann fröhlich fort, »ich hatte ja lange so meine Zweifel, ob du unter dem Gewand da überhaupt etwas zum Abschneiden hättest, und zu meiner Freude hast du mir das Gegenteil bewiesen. Wenn ich's recht bedenke, gar keine so üble Masche, im geistlichen Habit in der Stadt herumzulungern und sich durch die Hintertür ins Haus gelangweilter Frauen einzuschleichen.«
    »Vater!« Gregory war empört. Sein Gesicht lief zornesrot an. Kleine Adern traten an seinen Schläfen hervor. Fuchsteufelswild fuhr er seinen Vater an:
    »Ich habe dir doch gesagt, daß ich mir für Christus einen reinen Leib bewahre!« Die Adern an seinem Hals traten hervor und pochten.
    »Du willst dir was für wen bewahren?« brüllte der alte Mann. »Beim lebendigen Gott, was habe ich da in die Welt gesetzt? Dein Bruder Hugo hat Bastarde auf zwei Kontinenten, und du willst mir weismachen, daß du vollkommen unbrauchbar bist? Ich sollte dir noch eins über den Schädel ziehen!« Die Knappen wichen zurück. Sie wirkten belustigt.
    »Vater, das haben wir bereits besprochen. Mich kannst du nicht mehr drangsalieren. Mein Entschluß steht fest.« Bruder Gregory knirschte mit den Zähnen. Sein Vater hatte eine Art, ihn so aufzubringen, daß er genau die Dinge sagte, die jenen am meisten erzürnen mußten.
    »Was heißt hier drangsalieren? Ein rückgratloses Wundertier wie dich kann man nicht drangsalieren«, knurrte der alte Mann. Dann blickte er sich im Zimmer um, und ein schlauer Ausdruck huschte über sein Gesicht. Den Blick kannte Bruder Gregory gut; er hatte ihn in vergangenen Jahren oft genug gesehen. Er bedeutete, daß der alte Mann den Wert der Wandbehänge überschlug. Sir Hubert hatte eine ganze Reihe ähnlicher Wandbehänge und dergleichen Einrichtungsgegenstände in französischen Schlössern mitgehen lassen, ehe er sie dem Erdboden gleichgemacht hatte, und er hatte einen guten Blick für ihren Wert. Es traf Bruder Gregory tief, daß sein Vater sich das Wohnzimmer der Kendalls mit diesem Blick ansah.
    Dann wandte der alte Mann seine Aufmerksamkeit noch einmal Margaret zu.
    »Nicht so übel. Eine Wittib. Reich«, überlegte er bei sich. »Und noch jung.« Noch einmal musterte er sie von Kopf bis Fuß. Bruder Gregory kannte auch diesen Blick. Er wurde nur noch böser auf Vater. Margaret stand starr vor Zorn. »Sieht wie eine gute Zuchtstute aus. Kann man bei einer Frau immer an den Hüften und Titten erkennen –«
    »Wie könnt Ihr es wagen!« zischte Margaret ihn an.
    »Und feurig. Ist auch gut fürs Zuchtgeschäft. Ein guter Hengst kriegt mit einer schlechten Stute auch schlechte Fohlen, sag ich immer. Wir wollen doch nicht noch mehr rückgratlose –«
    Dann drehte er sich jäh zu Hugo um.
    »Hugo, ich hab mir was überlegt. Du brauchst seit längerem eine Frau, und diese da
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