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Die Stimme

Titel: Die Stimme
Autoren: Judith Merkle-Riley
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dämmerte ihm Fürchterliches. Man konnte die Uhr nicht zurückdrehen. Er hatte sich verpflichtet, zurückzukehren und in einer kalten, weiß getünchten Zelle zusammen mit Gott und der Göttin der Erinnerung zu hocken, während Hugo, dieser unsägliche Barbar, sich mit jenen vortrefflichen Wecken vollstopfte, Kinder machte, Margaret schikanierte und mit dem Alten überall herumhurte. Abends würden die beiden sich wahrscheinlich betrinken und sich gegenseitig beglückwünschen, daß sie ihr Glück am Schlafittchen gepackt hatten und ihn vielleicht in absentia hochleben lassen, weil er ihnen das alles verschafft hatte. Und Margaret würde weinend oben auf dem Söller dahinsiechen wie seine Mutter, und die Mädchen würden an ihrem elften Geburtstag dem Meistbietenden zugesprochen und anverlobt werden…
    »Vater, das ist nicht recht, dazu hast du kein Recht. Sie würde Hugo jedenfalls nicht mögen –«
    »Mögen? Was soll mir das? Deine Mutter hat mich auch nicht gemocht! Wir sind prächtig miteinander ausgekommen. Sie hat die Frauensachen gemacht, ich bin in den Krieg gezogen, und mit ihrer Mitgift habe ich den Turm wieder aufgebaut. Mögen ist bei einer Ehe völlig unwichtig. Geld und Familie, das zählt. Hast du nicht gesagt, sie ist eine Base? Doch wohl nicht zu nahe verwandt, wie?«
    »Keine Spur von nahe.« Bruder Gregory seufzte tief. Ein Jammer, denn das hätte das Problem gelöst. Nicht einmal Vater würde die erforderlichen Gebühren und Beziehungen, beschaffen können, damit die Kirche ein Auge bei der Heirat innerhalb des siebten Verwandtschaftsgrades zudrückte.
    »Also, Gilbert, geh mir aus dem Weg, ehe ich diese Männer da auf dich loslasse, daß sie dir jeden Knochen im Leib brechen. Diese Frau wird entführt; dir hängen doch nur die Trauben zu hoch, wie bei dem gottverlassenen Fuchs in dieser Geschichte da. Und das ist weiß Gott nichts Neues, du hirnrissiger, undankbarer Sohn.«
    Bruder Gregory blickte Margaret an. Er wußte, daß er geschlagen war. Margaret blickte ihn an, dann die Gesichter ringsum im Zimmer. Es gab keinen Ausweg.
    »Gut, freut mich zu sehen, daß Ihr Vernunft annehmt.« Sir Hubert regelte jetzt alles geschäftsmäßig. »Damien, geh nach oben und hol ihr den Umhang – draußen ist es kalt. Robert, du gehst –«
    »Vater«, unterbrach ihn Gregory. Sein Vater drehte sich um und blickte ihn an. Gilbert wirkte sehr aufgeregt. Vielleicht war bei diesem unbrauchbaren Welpen doch noch nicht Hopfen und Malz verloren. »Vater, ich muß mit Margaret reden –« Hier wurde er von Getrappel und Geheule unterbrochen, als nämlich Damien und Robert mit einem Armvoll Winterkleidung, zwei tränenüberströmten, kleinen Mädchen und einer aufgebrachten, wutentbrannten Kinderfrau zurückkehrten.
    »Mylord, was soll mit denen da geschehen? Sie hatte die beiden oben in einen Kleiderschrank eingesperrt.«
    »In dieser Stadt hat man aber merkwürdige Methoden in der Kindererziehung«, bemerkte Sir Hubert. Die Mädchen hatten sich in die Röcke ihrer Mutter geflüchtet und heulten nur noch lauter. »Holt sie weg und setzt sie dort drüben hin«, sagte Sir Hubert. »Ich will sie mir anschauen.« Sir Hubert starrte sie ein paar lange und stumme Minuten an, strich sich den Bart und dachte nach. Die Mädchen starrten zurück. Sie wirkten fast wie Zwillinge und sahen genauso aus wie ihre Mutter, abgesehen von dem roten Haar. »Bringt nur Mädchen zuwege«, sagte der alte Mann bei sich. »Eine verdammte, hitzköpfige Stute, die nur Mädchen zuwege bringt.« Er schritt hin und her und brummelte in seinen Bart: »Viel besser für einen zweiten Sohn.«
    »Madame, gehört die Kinderfrau zu Euren Leuten oder zu denen da?« fragte er Margaret, die sehr, sehr aufgebracht wirkte.
    »Man hat sie dafür bezahlt – sie gehört zu denen da. Meine Leute sind alle im Keller eingesperrt; er hat die Schlüssel an sich genommen.« Margaret deutete auf ihr Schlüsselbund an Lionels kopflosem Rumpf.
    »Mich dünkt, sie sollten die Plätze tauschen. Robert, bring die Frau da nach unten und laß die anderen heraus. Hier muß gründlich aufgeräumt werden. Rede ihnen gut zu – wir werden ihr Zeugnis noch brauchen, falls es zu einer Untersuchung kommt. Was, Gilbert, wolltest du gerade sagen –?«
    »Ich muß mit Margaret reden.«
    »Schieß los – was hindert dich daran?«
    »Ich meine allein. Sie sagt, daß sie nichts in einem Zimmer mit Leichen drin bereden will.«
    »Gut, aber in der Diele liegen auch Leichen herum. Sie
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