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Lackschaden

Lackschaden

Titel: Lackschaden
Autoren: Susanne Fröhlich
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    »Isch will uff jeden Fall, des ihr mich verbrenne tut! Und isch will net, des so en Mordsgedöns bei maaner Beerdigung gemacht wärd!«
    Der Mann, der mir das täglich morgens um sechs mit Trauermiene und ganz leiser Stimme mitteilt, ist mein Schwiegervater Rudi, der nunmehr seit vier Wochen bei uns wohnt. Genau vor einem Monat hat er, bei dem Versuch eigenständig ein Wannenbad zu nehmen, dummerweise seine eigene Wohnung geflutet und seither beehrt er uns mit seiner Anwesenheit.
    Schon während ich den ersten Kaffee des Tages trinke, will er mit mir die Details seiner Beerdigung besprechen. Dabei ist Rudi keineswegs todkrank. Er ist aber ein Mann, der nichts gerne dem Zufall überlässt und außerdem, wie er immerzu betont, »aaner, der wo gerne die Züschel in der Hand hält!« Im Moment ist er allerdings nur in seiner Vorstellung ein Mann, der »wo die Züschel in der Hand hält«. Seit dem Tod meiner Schwiegermutter Inge ist Rudi von Tatkraft und Zügelhalten etwa so weit entfernt wie Heidi Klum von Waldorfpädagogik. Er ist traurig und verwirrt – und wenn er könnte, würde er direkt neben seine Frau (»Niemand hat Schweinebrate wie meine Inge gemacht!«) in die Grube springen.
    Etwa zeitgleich höre ich jeden Morgen die Sätze: »Ich weiß einfach nicht, was ich da soll. Ich habe keine Lust mehr auf Schule. Das gibt mir nichts!«
    Die junge Frau, die mir diese Information täglich in ähnlichen Varianten um die Ohren schleudert, ist meine Tochter Claudia, hormonell völlig verwirrt, kurz davor Ehrenmitglied bei den Messies zu werden und mittlerweile sechzehn Jahre alt.
    »Wenn die hierbleiben darf, bleibe ich auch!«, bekundet ihr Bruder Mark dann gleichfalls täglich, fast so, als würde ich immer wieder dieselbe Schallplatte mit Sprung zum Frühstück hören.
    Dann ist da noch der Kerl, der mir regelmäßig zu alldem nur sagt: »Darum kann ich mich nicht auch noch kümmern!« Dieser Mann ist mein Ehemann Christoph, der eigentlich kaum mehr zu Hause auftaucht. Wie auch – er verbringt fast seine gesamte Freizeit neuerdings auf dem Golfplatz, denn »ohne Golf, Andrea, geht auch geschäftlich nichts. Das ist kein Spaß, das ist Networking.«
     
    All das erklärt vielleicht im Ansatz, warum es Momente gibt, in denen ich wirklich sehr gerne aufstehen und gehen würde. Egal wohin – einfach nur weg. Raus aus der Tür und alles hinter mir zurücklassen: Beerdigungen, Schulverweigerer und den Darum-Kann-Ich-Mich-Nicht-Auch-Noch-Kümmern-Kerl!
    Schließlich hätte ich auch einiges zu jammern, nur fällt mir niemand ein, der das hören will. Ich merke, wie die Wechseljahre auf mich zukriechen, spüre den schweißigen Hauch des Klimakteriums im Nacken, habe seit fünf Monaten keinen Sex mehr gehabt (obwohl oder gerade weil ich verheiratet bin), zudem erste graue Schamhaare entdeckt und mein Östrogenspiegel fällt parallel zu meiner Laune. Und das Einzige, womit es kontinuierlich aufwärts geht, ist mein Gewicht.
    »Das ist das Alter, Frau Schnidt. Der Körper klammert sich an sein Fett und die Hormone tun ihr Übriges!«, konstatiert mein Gynäkologe und schließt mit dem tröstlichen Satz: »So ist die Natur.«
    Ich hätte ihm gerne eine geknallt. Und der Natur gleich eine mit. Das hat sie sich nicht wirklich fein ausgedacht. Ich bin in einem Alter, in dem ich ein Mehr an hormoneller Unterstützung ausgesprochen gut vertragen könnte. Und meiner Tochter würde ein Weniger auch sehr gut tun. Sehr, sehr gut sogar. Alle würden profitieren! Welcher Sadist hat das also so verkehrt herum angelegt? Ist das etwa ein schöner Einstieg ins Altern? Das Fleisch wird welk und die Hormone machen die Flatter, verlassen das sinkende Schiff.
    Das einzig, im Ansatz, Tröstliche: Ich bin nicht allein. Wenn ich mich mit Freundinnen treffe, ist die allgemeine Stimmung nicht gerade dopingverdächtig. Wir sind alle wie kleine Hamster in unseren jeweiligen Rädern. Was ist aus uns geworden? Ich jedenfalls mutiere immer mehr zu einer frustrierten und missmutigen Frau.
    Wo um alles in der Welt ist mein lustiges Leben geblieben? Ich arbeite und den Rest der Zeit versuche ich meine Umgebung bei Laune zu halten und nicht im Chaos zu versinken. Ich bin Vollzeit-Dienstleisterin: Putzfrau, Köchin, Chauffeurin, Aufräumerin, Trösterin und dann sitze ich auch noch halbtags in einer kleinen Agentur und schreibe Werbetexte. Soll das etwa alles sein? Für den Rest meines Lebens? Wer interessiert sich für meine Befindlichkeiten?
    Ich kann
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