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Lackschaden

Lackschaden

Titel: Lackschaden
Autoren: Susanne Fröhlich
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mich noch nicht mal richtig in Selbstmitleid ergehen, denn während ich noch nach weiteren Minuspunkten in meinem Leben suche, nähert sich auch schon mein Schwiegervater.
    »Derf ich disch emal was frache?«, haucht er mit seiner, neuerdings ganz leisen, Stimme.
    »Natürlich, Rudi«, antworte ich, wissend, dass diese Frage sowieso rein rhetorischer Natur ist.
    »Also«, beginnt er, »ich hab mir überlescht, es wär mir en Herzenswunsch, wenn du uff meiner Beerdigung die Trauerred halte könntest, Andrea.«
    Ich hoffe, ich habe mich verhört.
    »Rudi«, versuche ich mit aller Vorsicht, eine Antwort zu formulieren, komme aber nicht weit, weil es da auch schon aus dem ersten Stock plärrt: »Wo sind meine Turnschuhe?«
    Rudi dreht sich beleidigt weg, ich überlege sofort, wo sie sein könnten, obwohl es ja, weiß Gott, nicht meine Schuhe sind und die Trauerredenfrage ist somit erst mal abgewendet. Die Turnschuhe sind mal wieder verschwunden, Mark mein Sohn guckt vorwurfsvoll, als hätte ich sie versteckt, gefressen oder sonst was. Rudi hat sich mittlerweile in sein Zimmer verkrümelt. Immerhin ein kleiner Teilerfolg. Mark schnappt sich meine Joggingschuhe.
    »Barfuß kann ich ja wohl keinen Sport machen!«, entscheidet er und fügt leicht spöttisch hinzu: »Du benutzt die ja eh nicht!« Er stopft die Schuhe, ohne eine Reaktion von mir abzuwarten, in seinen Ranzen.
    Ich finde sehr wohl, dass man barfuß Sport machen kann, vor allem wenn man zu doof ist, seine eigenen Turnschuhe zu finden. Aber obwohl ich in der Theorie konsequentes Handeln phantastisch finde, sogar oft flammende Reden darüber halte, habe ich in der Praxis keine Lust auf noch mehr Gezacker. Dabei hätte ich gerade heute vielleicht Sport gemacht. Aber ohne Schuhe wird das schwierig. Perfekte Ausrede für einen weiteren Tag ohne sportliches Engagement.
    Mark hastet zur Tür und knallt sie zu. Claudia muss auch los, steckt aber noch in ihrem Zimmer. Styling braucht Zeit.
    »Claudia, du musst los!«, brülle ich rauf in den ersten Stock und fühle mich bereits eine dreiviertel Stunde nach dem Aufstehen schon völlig erschöpft.
    Nach dem dritten Rufen erscheint meine Tochter dann gelangweilt in der Küche. Ich reiche der Gnädigsten ein Schulbrot, und sie guckt, als hätte ich ihr einen brennenden Molotowcocktail in die Hand gegeben.
    »Igitt, da ist ja Wurst drauf!«, schnaubt sie verächtlich.
    »Ja und?«, antworte ich. Seit Jahren ist entweder Wurst oder Käse auf dem Schulbrot, an guten Tagen noch Kresse, Gurke oder Schnittlauch, also hält sich die Sensation ja wohl in Grenzen.
    »Ich bin jetzt Veganerin!«, erklärt sie und donnert die Brotdose auf die Küchentheke. Veganerin – das ist ja mal was ganz Neues. Auch das noch.
    Die Neu-Veganerin hat sich ihre Augen so schwarz umrandet, dass man denken könnte, sie gehe als Waschbär in die Schule. Sollte ich ihr mitteilen, dass heute kein Fasching ist? Sollte ich darauf bestehen, dass sie das entfernt? Ich sollte, weiß aber, dass ich damit einen herrlichen Streit entfachen würde. Also lass ich es bleiben. Stattdessen sage ich nur: »Interessantes Augenmake-up!«
    Sie antwortet nicht mal, guckt nur kurz auf und ihr Blick sagt alles. Ich soll sie in Ruhe lassen, ich hab eh keine Ahnung, ich bin eine altmodische Kuh, von mir lässt sie sich doch nichts sagen und außerdem zieht sie sowieso bald aus … Immerhin beehrt sie mich beim Gehen noch mit einem gezischten: »Tschüss.« Man muss für kleine Gesten dankbar sein.
    »Ich wünsche dir einen schönen Tag, viel Spaß in der Schule!«, verabschiede ich mein Kind, gerade so, als wäre es ein wunderbar harmonischer Morgen gewesen, und als sie endlich das Haus verlassen hat, mache ich mich über ihr Schulbrot her. Ich brauche dringend Kohlenhydrate, und am Morgen sind sie ja noch gestattet.
    Veganerin! Die tickt ja nicht mehr richtig. Was soll ich der denn demnächst kochen? Tofu? Da wird sich der Rest der Familie sicherlich sehr freuen. Das einzig Gute an der Altersklasse meiner Tochter: Heute Veganerin und morgen zu McDonalds. Was ich damit sagen will: Grundsätze sind in diesem Alter noch ausgesprochen variabel. Wer weiß also, was heute Mittag bei ihr los ist. Mittlerweile bin ich ja schon froh, wenn sie ab und an überhaupt mit mir spricht. Soll sie essen, was sie will. Solange sie keine extra Kocheinlagen erwartet, ist es mir egal.
     
    Ich habe heute frei und bin zum Frühstück eingeladen. Bei einer meiner Nachbarinnen. Netter kleiner
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