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Die Stimme

Titel: Die Stimme
Autoren: Judith Merkle-Riley
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zornmütig Bruder Gregory aussah.
    »Erinnerungen, hach! Kein Wunder, daß du so eilig verschwinden willst. Laßt mich wissen, wie es ausgegangen ist.«
    »Sagtet Ihr, daß er Theophilus heißt?« fragte Mutter Hilde neugierig.
    »Naja, wenigstens als ich ihn in Paris kannte – aber wer weiß das schon? Vielleicht hat er ja noch einen Namen.«
    Als Mutter Hilde ihm das Geld hinzählte, merkte Gregory, wie besorgt sie aussah. Gern hätte er ihre Hand genommen und ihr Mut gemacht, doch er nahm nie die Hand einer Frau. So blickte er sie nur an und sagte:
    »Sorgt Euch nicht. Es wird schon alles gut, und wir befreien Margaret«, und damit drehte er sich um und eilte aus dem Haus und so rasch es ging die Gasse entlang, damit sie nicht den Ausdruck auf seinem Gesicht mitbekam.
    Das gemietete Pferd war ein dahintrottender Zelter, der schon bessere Tage gesehen hatte, aber er war ausgeruht, hatte einen langen Schritt und kam gut voran. Und so dauerte es auch nicht lange, und Bruder Gregory hatte Aldersgate hinter sich gelassen, die lärmenden Gassen von Smithfield durchquert und zog nun über Land auf der großen Römerstraße dahin, die gen Norden führte. Ohne eine Rast einzulegen, schaffte es Bruder Gregory in etwas mehr als einem Tag nach Haus. Todmüde näherte er sich Vaters baufälligem, altem Herrenhaus, und schon fiel der Alte selbst auf der Landstraße über ihn her. Er probierte just ein neues Pferd aus, dicht hinter sich den Stallburschen. Er ließ das Pferd antraben, dann eine Piaffe tanzen, die besonders gut wirkt, wenn man bis an die Zähne bewaffnet durch eine Stadt reitet, und umrundete dann Bruder Gregory und blickte ihn von Kopf bis Fuß an, wie er da schweigend auf dem Zelter saß und darauf wartete, daß er das Wort an Vater richten durfte. Ein lohfarbener, pelzgefütterter Umhang bauschte sich um Bruder Gregorys Vater; seine behandschuhten Hände hatten Schinkenformat. Der ausnehmend muskulöse, schwarze Hals des Streitrosses glänzte wie ein schimmernder Bogen; seine pastetengroßen Hufe schlugen den gefrorenen Boden, sein Geschirr klirrte in dem Schweigen. Das Pferd war ein Ungeheuer – mindestens vierzehn Handbreit hoch, und Bruder Gregorys Vater saß so aufrecht darauf wie eine Schwertklinge, das weiße Haar und der Bart umwehten sein Gesicht, während er aus einer überragenden Höhe von gut einem Fuß auf Bruder Gregory herabblickte.
    »Auf was zum Teufel sitzt du da eigentlich?« brüllte der alte Mann.
    »Auf einem Mietpferd, Vater«, sagte Bruder Gregory erschöpft.
    »Was, ein Mietpferd? Wo hast du denn das gemietet, im Trödelladen?«
    »Vater, ich wollte dich um etwas bitten.«
    »Kommst wohl zurückgekrochen«, donnerte der alte Mann. »Wußte schon immer, daß du kein Rückgrat hast.«
    Bruder Gregorys Vater hatte keine Probleme mit Gott. Er wußte, Gott glich ihm aufs Haar, nur ein bißchen größer und natürlich seigneur eines etwas größeren Stückchens Grund und Boden. Der Gottesdienst gefiel ihm selbstverständlich.
    Genau das, was er für sich anordnen würde, wenn er Gott wäre und es ihm zu langweilig würde. Und im Augenblick war es langweilig. Er befand sich zwischen zwei Feldzügen und mußte sich mit diesem Schwachkopf unterhalten, den Gott ihm als zweiten Sohn gegeben hatte – einer von Gottes wenigen Fehlern.
    »Vater, ich komme nicht gekrochen.« Bruder Gregory wurde langsam ungeduldig.
    »Nein du reitest – reitest auf einem Pferd, das aussieht, als ob man es stückchenweise zusammengesetzt hätte. Immerhin ein Fortschritt gegenüber letztem Mal, als du zweifellos auf dem Bauch im Staub zurückgekrochen bist.«
    Sie ritten jetzt nach Haus, durch das kleine Dorf mit den strohgedeckten Katen und die lange, matschige Auffahrt entlang zur verfallenen Eingangspforte. Hinter ihnen ritt in diskreter Entfernung der Stallbursche, doch der mußte sich schon sehr zusammennehmen, daß man ihm seine Belustigung nicht ansah. Sie waren aber auch ein zu unterschiedliches Paar: Bruder Gregory in seinem alten, verfilzten Schafsfell, die knubbeligen Beine viel zu lang für die kleine Schindmähre mit dem Hohlrücken, auf der er hockte, und der alte Sir Hubert de Vilers, prächtig gestiefelt und gespornt, mit Umhang und auf dem größten, besten Hengst zwanzig Meilen in die Runde. Sie glichen sich allerdings in der Haltung: Vater und Sohn saßen beide mit der aufrechten, arroganten Anmut eines Kaisers zu Pferd.
    »Und beide die gleichen Dickköpfe«, schmunzelte der Stallbursche bei sich
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