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Über das Trinken

Über das Trinken

Titel: Über das Trinken
Autoren: Peter Richter
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I. »Einleitung« oder: Was war und wozu diente die Gesellschaft zur Bekämpfung der Nüchternheit?

    Diplomatie mit dem Weinglas · Trinken für den Frieden · Eine berauschende Erfahrung · Und eine ernüchternde Erkenntnis · Die Nichtigkeit des Nichttrinkens · Warum der Geschmack nicht alles ist · Sondern schon auch die Wirkung zählt
    Klingt wie ein Märchen, ist aber keins: Es war einmal ein König, der mit seinem Nachbarkönig ein paar ernsthafte Streitigkeiten hatte. Beide waren ehrgeizig und etwa gleich stark. Vielleicht war der andere sogar noch ein bißchen stärker, das war schwer zu sagen. Wenn es aber schwer zu sagen ist, ob man im Zweifel gegen den anderen gewinnen kann  – was tut man dann? Man geht gemeinsam einen trinken.
    Die Erkenntnis, daß nach ein paar Gläsern Wein die Welt schon ganz anders aussieht, daß nach ein paar Flaschen davon die Differenzen plötzlich gar nicht mehr so groß erscheinen  – und daß man über alles reden kann, wenn das Reden für Außenstehende erst einmal angefangen hat, wie Lallen zu klingen: Diese Erkenntnis hat zur Gründung der einzigen Geheimgesellschaft geführt, die jemals einen sinnvollen Zweck hatte, oder wenigstens
gute Laune. Ihr Name war: Gesellschaft zur Bekämpfung der Nüchternheit.
    Es war August der Starke, König in Polen und Kurfürst von Sachsen, der diese Gesellschaft gründete. Und sie erfüllte tatsächlich alle Kriterien, die man von Geheimbünden aus Abenteuerromanen kennt: verschwiegene Treffpunkte, Tarnnamen und ein striktes Geheimhaltungsgelübde. Das Gremium tagte bei Graf Wackerbarth, der verdonnert worden war, die Kellerräume seines Kurländer Palais in Dresden dazu zur Verfügung zu stellen. Als rituelles Zentrum ließ August seinen Hofarchitekten einen runden Tisch anfertigen, der die Gesellschaft zur Bekämpfung der Nüchternheit automatisch in eine Traditionslinie stellte, die von der mythischen Tafelrunde des König Artus bis zu den »Runden Tischen« während der sogenannten friedlichen Revolution in Ostdeutschland reicht. Die Idee dahinter ist simpel genug: Wo eine Runde wirklich kreisförmig tafelt, kennt die Sitzordnung keine Hierarchien mehr; wenigstens formal sind hier alle gleich.
    Die Verzierungen der Tischplatte bildeten zugleich das Siegel dieser Gesellschaft: »sceau de la table ronde« stand da umlaufend, Siegel des Runden Tisches. Acht Linien formten ein achteckiges Kreuz, in dessen Ecken acht Buchstaben standen, die zusammengenommen »la gahete« ergaben, was eine etwas altmodische oder vielleicht einfach auch nur falsche Schreibweise ist für »la gaieté«  – die Fröhlichkeit.

    In der Mitte des Tisches schließlich: das Wort »sub« und darunter eine stilisierte Rose  – und daß die Redewendung »sub rosa« zur strengsten Verschwiegenheit verpflichtet: Das braucht man in einer Welt, in der die Bücher eines Dan Brown zum Allgemeingut gehören, sicher nicht weiter zu erläutern.
    August persönlich hatte die Satzung und die Mitgliederliste verfaßt. Hoher sächsischer und preußischer Adel, auch Damen waren dabei. Geredet werden sollte über alles, und zwar zwanglos und ohne einander ins Wort zu fallen. Am 13. März 1728 wurde Preußenkönig Friedrich Wilhelm I., der sogenannte Soldatenkönig, offizielles Mitglied. Und es heißt, daß die Beziehungen zwischen den beiden hart konkurrierenden Mächten Preußen und Sachsen tatsächlich spürbar friedlicher geworden seien, solange die Gesellschaft ihren Statuten gemäß arbeitete, also: trank.
     
    Das, dachte ich im ersten Moment, ist das Einleuchtendste, Klügste und Anrührendste, was ich jemals über irgend etwas gehört habe. Es war auf dem Staatsweingut Schloß Wackerbarth in Radebeul, wo sie die Geschichte begreiflicherweise schon aus Gründen der Eigenwerbung gern erzählen und auch einen Nachbau des Runden Tisches im Keller haben. Eine Gesellschaft zur Bekämpfung der Nüchternheit! Alkohol als Mittel der Diplomatie!! Trinken für den Frieden!!!

    Ich war wie berauscht von dem Gedanken.
    Und dann kam, noch mit der gleichen Post gewissermaßen, auch schon die Ernüchterung.
    Denn selten ist ein Konzept dermaßen nicht aufgegangen. Schon wenige Jahre später, im Siebenjährigen Krieg, haben die Preußen ihre sächsischen Saufbrüder trotzdem brutal über den Haufen gerannt. Und davon mal ganz abgesehen: Was ist mit all den zerstörten Lebern, was mit den zerstörten Leben? Was ist das Gelächter der Trunkenen gegen die Lächerlichkeit der
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