Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaltes Fieber - Ein Lucas-Davenport-Roman

Kaltes Fieber - Ein Lucas-Davenport-Roman

Titel: Kaltes Fieber - Ein Lucas-Davenport-Roman
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
EINS
    C harlie Pope stapfte die Gasse hinunter, auf dem Rücken die leere Mülltonne, eingehüllt in den Gestank von verdorbenem Fleisch, verfaulten Bananen, geronnenem Blut und weiß Gott was sonst noch, ein Mann, dessen Leben auf dem Müll gelandet war - und der dennoch alle Augen auf sich gerichtet fühlte.
    Die heimlichen Blicke und das versteckte Anstarren prasselten auf ihn ein wie Graupelkörner bei einem Wintergewitter. Jeder in der Stadt kannte Charlie Pope, und alle behielten ihn im Auge.
    Ein halbes Dutzend Mal war sein Foto auf den Titelseiten der Zeitungen erschienen, aufgenommen, wenn sein verängstigtes Gesicht mit den kleinen Schweinsaugen hinter Kühlfächern und Regalen in Supermärkten hervorlugte. Die Fotografen hatten aber auch bei seiner Registrierung als Sexualstraftäter Fotos von ihm geschossen, und sie erwischten ihn häufig vor seinem Wohnwagen und beim Schleppen seiner Mülltonnen.
    EIN PERVERSER LEBT UNTER UNS, schrieben die Zeitungen. EIN IRRER SEXUALSTRAFTÄTER LAUERT UNSEREN TÖCHTERN AUF. WIE LANGE WIRD ER SICH NOCH ZURÜCKHALTEN KÖNNEN, BIS SCHLIESSLICH ETWAS SCHRECKLICHES PASSIERT? Nun ja - sie schrieben das nicht im Wortlaut, aber es war genau das, was sie meinten.
    Charlie stellte die leere Tonne zur Seite, beugte sich über die nächste, hob sie hoch, wankte, stapfte damit zur Straße. Verdammt schweres Ding. Was hatten die Leute da reingeworfen,
verdammte Schreibmaschinen oder was? Wie können sie erwarten, dass ein Weißer mit diesen verdammten Mexikanern mithält?
    Alle anderen Müllmänner waren Mexikaner, kleine Typen aus einem abseits in den Bergen gelegenen Dorf. Sie arbeiteten pausenlos, plapperten in Spanisch miteinander, um ihn zu isolieren, verzogen verächtlich die Lippen über einen weißen amerikanischen Perversen, der gezwungen war, in ihren Reihen mitzuarbeiten.
     
    Charlie war ein groß gewachsener Mann, eher fett als muskulös, mit einem ovalen Kopf wie ein Football, abfallenden Schultern und kurzen, dicken Beinen. Sein Kopf war kahl, die Ohren jedoch waren dicht behaart. Er hatte ein winziges Kinn, schmale, tief eingebettete Lippen und kleine Augen, nicht größer als ein Zehncentstück, die ständig feucht glänzten. Eine auffällige Erscheinung, aber keinesfalls attraktiv. Er sieht echt aus wie ein Irrer, hatte ein Zeitungsreporter einmal gesagt.
    Und er war ein Irrer. Die elektronische Fessel an seinem Fußgelenk bezeugte diese Tatsache. Die Cops hatten ihn verhaftet und wegen Vergewaltigung und schwerer Körperverletzung weggesperrt, und sie hatten ihn im Verdacht, drei weitere Sexualstraftaten sowie zwei Morde begangen zu haben. Okay, er hatte diese Verbrechen begangen, und er war damit noch einmal davongekommen - bis auf die eine Vergewaltigung und die eine schwere Körperverletzung. Dafür hatten sie ihn acht Jahre in die forensische psychiatrische Klinik gesteckt.
    Klinik. Beim Gedanken daran verzog er die Lippen zu einem zynischen Lächeln.
    St. John’s war unter Krankenanstalten das, was ein Fleischerhaken für ein Schlachtschwein bedeutet …

     
    Charlie löste sich von den Gedanken an St. John’s und wischte sich den Schweiß aus den Augenbrauen, rollte die Tonnen zum Müllwagen, hob sie hoch, kippte sie aus und zerrte sie dann - manchmal genügten auch Tritte - zurück an ihren Platz vor dem Haus des Kunden. Im heißen Sonnenlicht roch er den Gestank, den er verströmte: Er stank nach Schweiß und verdorbenem Käse, nach verfaultem Schweinefleisch, saurer Milch und ranzigem Fett - ein bezeichnender Geruch für sein verkorkstes Leben.
    Manchmal meinte er, er hätte sich an diesen Geruch gewöhnt und würde ihn nicht mehr wahrnehmen, aber das stimmte nicht. Er roch den Müll jeden Morgen, wenn er zur Arbeit kam, er roch ihn während des ganzen Tages, er roch ihn durch seinen Schweiß hindurch, er roch ihn auf dem Kopfkissen seines Betts in diesem heißen, elenden Wohnwagen.
    Heiß und elend, aber immer noch besser als St. John’s.
     
    Früher Morgen.
    Charlie war auf der Straße gegenüber dem Park der berühmten Sullivan-Bank im Einsatz, als das Mädchen in der himbeerfarbenen Hose vorbeikam. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt …
    Der Blick ihrer braunen Augen traf Charlie wie ein Schauer kalter Regentropfen, auch wenn die junge Frau hastig zur Seite schaute, als er sie unverhohlen anstarrte. Sie ging vorbei, aber ihm blieb der Eindruck von weichen, braunen Augenbrauen, zarter Haut und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher