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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
Autoren: Nora Iuga
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ihrer glatten, frisch lackierten Oberfläche geht unbeeindruckt eine Kakerlake spazieren, sie schlägt mit der Hand zu, die Ärmste fällt aufs Parkett, Anna tritt noch einmal mit dem Fuß zu. Ja allerdings, die Wirklichkeit, das unmittelbare Gefühl des Verbrechens, ich trete an die Stelle Gottes, der uns tötet, wenn er Lust dazu hat – und uns zu fassen kriegt. Einen Augenblick lang spürte ich dieses vor Angst verrückte Geschöpf unter meiner Sohle, und alles war so wirklich, als nähmen meine sämtlichen Sinne an dieser ekelhaften und zugleich lustvollen Tat teil. Ist dir nochnicht aufgefallen, wie häufig Ekel und Lust in Momenten des Genusses Hand in Hand gehen? Anna setzt sich wieder aufs Sofa. Dracula spürt ihre Nähe und klettert auf ihren Schoß. Es gibt keinen großen Unterschied zwischen ihnen und uns, außer dass sie nicht die Perversion des Fiktiven besitzen, deshalb wissen sie auch nichts vom Tod. Sie fühlen wohl auch eine instinktive Angst vor etwas Unbegreiflichem. Was ist wohl unerträglicher, den eigenen Tod endlos in der Vorstellung zu wiederholen oder eine dauernde, gegenstandslose Bedrohung zu spüren? Und die Hoffnung? Was ist die Hoffnung? Diese ungeduldige Projektion in einen nicht vorhandenen Raum. Die Zukunft ist noch unwirklicher als die Vergangenheit. Sie ist pure Erfindung. Was ist mit diesen alten Leuten, die abends vor dem Einschlafen um bessere Zeiten beten. Mein Gott, wie gedankenlos, oder wie altruistisch vielleicht, da sie doch an dieser Zukunft keinen Anteil mehr haben werden. Ab einem gewissen Alter verweigert sich einem die Zukunft. Es ist schon länger her, ich glaube ich war nicht einmal vierzig, da schrieb ich in einem Poem »Wenn ich an die Zukunft denke, ist’s als betrachte ich mein Skelett«. So ist es, wenn man skeptisch veranlagt ist. Gläubige verlegen ihre Zukunft auf den dritten Tag, wie es geschrieben steht … vielleicht findest du mich etwas taktlos, aber ich kann diese schwerwiegenden Dinge nicht so erhaben formulieren, ich brauche immer einen Kontrapunkt. Gerade denke ich, wenn ich jetzt einen Herzinfarkt bekäme, hätte ich gute Chancen, deine Augen als letztes Bild auf meiner Netzhaut zu haben, was für ein Glück für mich, und was für eine Ehre für dich, was meinst du? Ob er merkt, dass alles, was ich sage, ein Geständnis ist,eine Provokation? So viel Geschwätz um dieses dritte Jahrtausend, das nun vor der Tür steht. Eine noch unwirkliche Zahl wird langsam zu einem Datum unserer realen Zukunft. Unsinn, was soll daran real sein? Im Jahre 2000 werde ich, wenn ich Glück habe, dreiundsechzig. Meine Mutter ist jetzt achtzig. Nehmen wir an, ich schaffe es. Wer werde ich dann sein? Eine Frau mit gepackten Koffern, abreisefertig, eine bis zum letzten Moment aufgeschobene Transplantation am lebenden Organismus, ein Rest von etwas, was zu Ende gegangen ist, weil seine Zukunft und die der Welt nicht mehr in eins fallen … Der Tod beginnt in Wirklichkeit schon sehr früh. Aber ich rede nicht gerne davon. Ich fühle mich so wohl mit dir. Du hörst mir so interessiert zu, es ist, als schenktest du mir deine Jugend. Ich habe dir nicht erzählt, dass ich vor ein paar Nächten von dir geträumt habe. Wir arbeiteten im selben Büro. Ich hatte gerade erst dort angefangen, und unsere Chefin, es war Denisa Comănescu, wollte mich zuerst einmal mit der Redaktionsarbeit vertraut machen und hatte mir ein paar alte Zeitschriften zum Katalogisieren gegeben, die mich furchtbar langweilten, ich hatte das Gefühl, etwas komplett Sinnloses zu tun. Siehst du, wieder diese Obsession des Nutzlosen! Du arbeitetest am gegenüberliegenden Schreibtisch und sahst manchmal zu mir herüber, als geschähe dies rein zufällig. In Wirklichkeit war die einzige Geste, durch die du mir zu verstehen gabst, dass ich für dich existierte, dass du jedes Mal vom Stuhl aufsprangst, um mir Feuer zu geben. Dann gingen wir zur Mittagspause. Ein paar Kollegen standen auf dem Flur zusammen, wie in der Casa Scînteii. Es gab dort auch eine Bank, auf der wir Platz nahmen. Neben uns saß ein Freundvon dir, mit dem du über mich sprachst, aber zugleich hieltest du mich im Arm. Ich schämte mich vor deinem Freund, aber ich dachte, eine Gelegenheit wie diese würde sich mir so bald nicht mehr bieten. Dann wandte ich mich zu dir um, und meine Lippen waren plötzlich neben deinen gelandet. Ich spürte einen warmen, feuchten Hauch auf meinem Mund, wie den Atem eines Pferdes. Aber du drehtest den Kopf
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