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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
Autoren: Nora Iuga
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unverhofft zur Seite, zogst mich von der Bank hoch und erklärtest mir eine Produktionsgrafik auf einer Tafel an der Wand. Dann waren wir wieder im Büro. Alle machten sich zum Aufbruch bereit. Du hattest eine weiße und strahlende Zigarre zur Hälfte aufgeraucht. Es war eine Schneezigarre. Die andere Hälfte gabst du mir zum Weiterrauchen. Ich tat einen tiefen Lungenzug, sie schien mir die beste Zigarre der Welt zu sein, und sie hielt lange vor. Schließlich fand ich mich allein auf der Straße wieder, alles war voller Schlamm, die Straßenbahnen fuhren hier nicht mehr, weil die Schienen gewechselt wurden. Ich wiederholte in Gedanken, was mir Denisa beim Abschied gesagt hatte. Warum nimmst du ihn nicht?
    Anna hält ein wenig verlegen inne. Dieses Mal ist sie wirklich zu weit gegangen. Sie hat dieses Gefühl von Unverschämtheit, gemischt mit Angst, wie ein Kind, wenn es einen Apfel vom Marktstand klaut. Dasselbe Gefühl, wie nachts vorm Zubettgehen, wenn sie nur im Unterrock den Abfall zum Müllschlucker bringt. Unmöglich hat er nicht gemerkt, dass dieser ganze Traum eine direkte Anspielung war. Eine Anspielung? Eine Liebeserklärung nach allen Regeln der Kunst. Sie ist kleinlaut, was soll sie jetzt tun? Seit heute Morgen tut sie immer nur zwei Schritte vor, einen zurück, wie Lenin sagte. MeinGott, wie viele Verbindungen zwischen meinem Privatleben und der Ideologie jener Zeiten treten in diesem sich endlos hinziehenden Palaver zutage. So sehr man seine Vergangenheit auch hasst, man entkommt ihr nicht. Sie ist ein Buckel, den man sein ganzes Leben mit sich herumschleppt. Die Rückstände des Kommunismus, von denen Herr Paleologu immer spricht, sind wie fremdes Blut, das dem Organismus per Transfusion gewaltvoll eingeflößt worden ist, ob man will oder nicht, es wird zum eigenen. Ich glaube, ich habe dich mit all den Träumen gelangweilt, aber Träume können auch als Hoffnungen oder Illusionen gedeutet werden. Habe ich dir jemals von meinen größten Hoffnungen erzählt? Oft wundere ich mich, wie ich das, was ich doch immerhin erreicht habe, erreichen konnte, ohne etwas dafür zu tun. Insgeheim habe ich immer mit mir gewettet. Ich liebe es, aufregende Wettkämpfe zu sehen, bei denen diejenigen, die nicht in Frage kommen, den Sieg davontragen, und die, die sich ihre Trainer, ihre Mannschaft, ihre Zeitungsschreiberlinge sorgfältig auszusuchen wissen, nach mir den zweiten Platz einnehmen. Obwohl ich ohne Einsatz spielte, und seltsam, ich mochte es nicht einmal, in Konkurrenz zu treten, wusste ich doch, dass ich besser war als sie. Siehst du, wie viel Ehrgeiz sich hinter der Weigerung, am Wettbewerb teilzunehmen, verbirgt, und wie viel Glück im Gewinnen einer Wette liegt, bei der du nichts als deine Erwartungen eingesetzt hast. Manchmal scheint es mir, als gleiche diese Geschichte einer meiner anderen Wetten – es fällt mir schwer, dir den Zusammenhang dieser Dinge logisch auseinanderzusetzen, aber in meinem Kopf entspringen sie beide derselben Ursache. Als ich noch zurArbeit ging und damals im Tei-Viertel in einem dieser lang gestreckten Häuser wohnte, natürlich im Erdgeschoss, ließ ich willentlich die Eingangstür offen, wenn ich fortging. Ich wollte es riskieren, wollte sehen, ob ich auch ohne die geringste Gegenmaßnahme meine Wette mit den Einbrechern gewinnen würde. Und tatsächlich ist nie einer gekommen. Ich glaube, man kann auch ohne die vielen Vorsichtsmaßnahmen, die einem die Zivilisation nahelegt und die ich als permanente Gängelung empfinde, frei leben. Wenn meine Mutter mich so reden hört, sagt sie, ich sei verrückt geworden. Siehst du, Terry war nicht so. Seit ich sie kenne, träumte sie nur davon, Schriftstellerin zu werden, wir waren damals noch Studentinnen. Sie verzichtete auf alles, was sie daran hindern konnte, sich ihren Traum zu erfüllen. Auch das ist eine Art Askese, oder besser eine Art Verteidigung, nichts anderes mehr zu tun als das, was deinem Glauben zuträglich ist. Für sie war das Schreiben wirklich eine Glaubenssache. Ich verstehe nicht, wie sie gleich nach der Revolution das Schreiben zugunsten der Politik aufgeben konnte. Natürlich hat auch die Konjunktur ihren Aufstieg befördert. Sie war von Vaterseite her Ungarin, wie gesagt, er war verdächtigt worden, bei der Horthy-Armee gewesen zu sein, das ist heute kein Nachteil mehr; als der ehemalige Direktor des Kriterion-Verlags Vorsitzender der UDMR wurde, nahm dieser Mann, der vor allem seinen Freunden gegenüber
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