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Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Titel: Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm
Autoren: Louise Fu
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Go West!
    Den Blick fest auf den
neongelben Schriftzug des Motels geheftet, schritt Frau Weinwurm summend und
mit klirrenden Sporen über den schmalen Schotterpfad neben dem Highway. Der
Schaft neuer steifer Cowboyboots schabte an ihren nackten Waden, prachtvolle
Stiefel, auf denen eine Büffelherde sich im wilden Galopp im Kreis um die
Knöchel bis hinauf zu den Knien jagte, als wäre ihnen eine große Schar Jäger
auf den Fersen. Hinter ihr schlingerte ein kleiner, mit Smileys bedruckter
Rollkoffer wie ein wütender Terrier, der auf sich aufmerksam machen wollte und
immer wieder gegen ihre Beine sprang. In regelmäßigen Abständen holte Frau
Weinwurm mit einem gespornten Absatz aus und knallte ihn gegen die
Kofferrückwand, und das Gefährt rumpelte für eine kurze Weile friedlich in
gerader Spur, bevor es erneut über einen Stein taumelte.
    Sie hörte einen Truck
in der Ferne röhren und trat artig beiseite, stolperte ein paar Schritte hinein
in die Wüste, bis die Rollen des Koffers knirschend im grobkörnigen Sand
stecken blieben. Mit vor dem Bauch gefalteten Händen stand Frau Weinwurm
andächtig neben einem Kaktus, dessen Ausmaß sie in der Dunkelheit nur erahnen
konnte. Wie armselig sich ihre Kakteensammlung auf dem Fensterbrett zu Hause
in Bütte-Erkenroytz dagegen ausnahm! Wenn sie an die schnapsglasgroßen
Tontöpfchen dachte, in die sich die winzigen grünen Pflanzen mit ihrem
flaumigen Stacheln drängten! Sie presste den Kopf fest in den Nacken und der
Schein der Grubenlampe auf ihrer Stirn glitt an dem gewaltigen Stamm entlang,
bis er sich im Sternenhimmel verlor. Sie dachte daran, wie ihre Eltern sie als
Kind mitgenommen hatten in den Kölner Dom, damit sie etwas Ordentliches lernte
von gotischen Sakralbauten und wahrem Kulturgut, von Märtyrermännern, heiligen
Männer, in Gold, Purpur und Brokat gewandeten Männern und auch ein bisschen
über lieblich weinende Frauen mit verdrehten Augen. Doch in Erinnerung war ihr
nur ein merkwürdig schummeriges Gefühl geblieben, wie sie dort stand, den Kopf
so weit zurückgelehnt, dass sich der zarte Kindermund gar nicht mehr schließen
ließ und ein Spuckefaden ihr übers Kinn lief. Ihr Blick mochte nicht haften
bleiben an all dem grauen, kalten Stein, und die kleine Frau Weinwurm wollte
auf ihren dicken Beinchen nach draußen rennen, doch ihre Hände wurden von Papa
und Mama wie in einem Schraubstock gehalten.
    Aber hier! Auch hier
trudelte der Blick und tanzte in Pirouetten am Riesenkaktus entlang, bis er
sich abstieß und in den Himmel hüpfte, zu den Sternen. Dass es so etwas gab!
Dass es so etwas in Echt und nicht in Spiel gab. Ach, wie oft grölten
die abscheulichen Nachbarskinder diesen Satz durch den Hinterhof ihres
Mietshauses in Bütte-Erkenroytz, johlten durchdringend, egal ob Frau Weinwurm
mit hämmernden Kopfschmerzen im Bett lag und so dringend Ruhe brauchte. In
Echt und nicht in Spiel: Eine solche Nacht, ein Mond, doppelt, nein,
dreimal so groß wie zu Hause, staunte Frau Weinwurm, als ob er sich unauffällig
angeschlichen hätte und gleich auf die Erde stürzen wollte, sobald niemand
hinsah. So viele Sterne, die glitzerten und glühten wie Pailletten auf einem
Abendkleid und vor dem Auge flirrten, dass einem ganz wild und merkwürdig wurde
im Kopf.
    » Heissa.«, gurrte
Frau Weinwurm. »Heissa.«
    Das war der gleiche
Himmel, den ER betrachtet hatte, damals, vor so vielen Jahren, Jahrzehnten, in
eine prächtige Indianerdecke gehüllt, den Kopf auf dem besten Sattel gebettet,
den man in Kansas oder Wyoming oder Arizona kriegen konnte, neben sich ein
freundlich loderndes Feuerchen (oh, nicht zu groß, nicht zu hell, denn die
Indianer, die feindlichen Rinderbarone, die bösen Wegelagerer mit karierten
Dreieckstüchern vor dem Mund!) und immer griffbereit, natürlich, seine Winchester
und eine Blechkanne voll öligen Kaffees.
    Der kräftige Truck,
der doch tatsächlich, wunderte sich Frau Weinwurm, so lang war wie ein
Güterzug daheim, donnerte vorbei, und die Druckwellen kitzelten ihre Fußsohlen
durch das Leder ihrer herrlichen Cowboyboots. Feiner Sand wirbelte auf und
drang ihr in Nase und Mund, hastig wandte sie sich ab und strauchelte in ein
verästeltes, pieksiges Gesträuch.
    »Hopsala!«, entfuhr
es ihr, als ihr Kinn im Sand aufschlug und einen Moment blieb sie betäubt
liegen.
    »Na, so was, Dummerjan, nun gib
mal ein bisschen Obacht!« Sie rappelte sich keuchend auf, setzte sich
verschnaufend aufrecht hin und versuchte den Rücken
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