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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
Autoren: Nora Iuga
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gutherzig und großzügig war, Terry in seine Partei auf und beförderte sie sogar in den Vorstand. Nach den Wahlen 1992 kam sie ins Parlament, sie wurde Kreisabgeordnete von Covasna. Terry war eine gute Aktivistin, siehst du, wieder Kommunismusrückstände, aber was sie sagte,schien mir immer Hand und Fuß zu haben. Sie gehörte nicht zum radikalen Flügel, war nie für die Autonomie der ungarischen Territorien, wahrscheinlich ließ ihr deutsches Erbgut mütterlicherseits sie zurückhaltender und moderater sein. Obwohl sie mit Czaba Joszeph befreundet war, scheint es, dass sie mit ihm in dieser Sache oft verschiedener Meinung war. Die einzigen ethnischen Forderungen, die sie um keinen Preis fallen ließ, waren Geschichts- und Geografieunterricht auf Ungarisch und die Gründung einer ungarischen Fakultät. Ich verstehe nicht, warum einige unserer Politiker sich so sehr dafür stark machen, dass ein paar Kinder, die zu Hause kein Rumänisch sprechen, Geografie und Geschichte auf Rumänisch lernen, man kann sich doch denken, wie viel sie davon begreifen. Ihre Argumente sind lachhaft. Ein »wahrer« Rumäne könne es nicht hinnehmen, dass Ştefan cel Mare auch einmal Nagy István genannt wird und Cluj auch Kolosvary heißt. Haben sich die Deutschen, die Franzosen, Belgier und Niederländer angesichts der doppelten Namensgebungen auch so gekränkt gefühlt: Karl der Große – Charlemagne, Brüssel – Bruxelles, Den Haag – La Haye etc. Diese beleidigte Pose scheint mir umso haltloser, wenn ich daran denke, dass Sibiu Herrmannstadt hieß, als ich dort bei den Ursulinen zur Schule ging, Braşov hieß Kronstadt, und Mihai Viteazu war Michael der Tapfere. Und noch abstruser kommt es mir vor, dass an der deutschen Schule in Bukarest alle Geschichts- und Geografiebücher auf Deutsch verfasst sind, mein Enkel geht dort zur Schule. Wie soll ich also nicht davon ausgehen, dass in dieser hasserfüllten Kampagne, die in der Presse und im Fernsehen läuft, eine fast schon barbarische Intoleranz gegenüber denUngarn schwelt. Die Schläge der Pendeluhr in der Nachbarwohnung unterbrechen Annas beinahe pathetisches Plädoyer. Ach, es ist ja schon neun, die Nachrichten haben angefangen – siehst du, ich bin abhängig geworden, entschuldige bitte, ich will sie nicht verpassen, sie dauern nicht lang. Sie greift nach der Fernbedienung auf dem Regal und drückt den roten Knopf. Das gibt es ja nicht, unglaublich. Auf dem Bildschirm erscheint eine korpulente Frau mit sehr rotem Haar und in einem braunen Kostüm, das über ihren zu großen Brüsten aufklaffte – Terry. Sie spricht hastig, mit heiserer Stimme: … ein widerwärtiges Individuum von unerhörter Undankbarkeit hat seine besten Freunde verleumdet, ein typischer Fall von Paranoia – sein wiederholtes Scheitern auf gesellschaftlicher Ebene hat ihn zum Menschenhasser werden lassen; er erklärt sich zum Opfer und Märtyrer eines Volkes von Feiglingen und Drohnen. Anna schaltet den Fernseher aus, schaut ihn an, er sieht auf die Uhr. Mir reicht’s, sie streckt die Hand nach den Zigaretten aus und zieht sie wieder zurück. Sie schweigen gemeinsam. Es ist vollkommen absurd, wie plötzlich eine Liebe aus Gründen, die nicht das Geringste mit Gefühlen zu tun haben, erkalten kann. Scheinbar war die Partie der Monicas profitabler für sie, als die blinde Hingabe an einen Reiter ohne Kopf … Dimi beginnt mir leidzutun, wer nach einer Utopie handelt, ist nicht berechnend, aber wer berechnend ist, gewinnt immer. Der grüne Blick gleicht einer matten Scheibe, hinter der nichts mehr zu erkennen ist. Nachdem ich dir jetzt so viel von Terry erzählt habe, merke ich, dass unsere Beziehung vollkommen war. Sie schwankte immer zwischen Plus und Minus, war immer ein perfektes Zusammenspiel oderaber vollkommene Disharmonie. Wäre Terry ein Mann, wäre sie vielleicht die Liebe meines Lebens gewesen. Sie hätte mich leiden lassen, das schon, aber sie wäre es wert gewesen. Was siehst du mich so an? Glaubst du etwa, ich bin lesbisch? Ich gebe zu, in der Pubertät, während meiner Schulzeit am Iulia-Haşdeu, verliebte ich mich in Mitschülerinnen und Lehrerinnen, aber damals war alles normal, das Geschlecht zögerte ja noch. Später ist mir das nie mehr passiert. Umso seltsamer, sogar verwirrender erscheint mir die Anziehungskraft zwischen mir und den Homosexuellen. Ich entdecke ein Zittern in dem grünen Blick, und meine Züge geraten in Auflösung. Ich weiß nicht, wie ich meine Scham über das, was
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